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Schöne Sprache, große Gefühle

■ Umjubelte Wiederentdeckung: Bettina Fless besinnt sich in ihrer "Minna von Barnhelm"-Inszenierung im Theater am Goetheplatz auf vergangene Tugenden

Was für eine Überraschung! 230 Jahren nach dem Entstehen wurde im Theater am Goetheplatz ein Stück neu entdeckt. Gotthold Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“, der Klassiker des Deutschaufsatzes, das abgegriffenste der gelben Reclam-Heftchen im Regal erweist sich als wahres Kleinod. Lessings alter Text um preussische Soldatenehre und die couragierte Liebe des Fräulein von Barnhelm kommt in Bettina Fless' Inszenierung daher, als sei er eben erst geschrieben worden.

Wenn Minna von Barnhelm auszieht, ihren verlorenen Verlobten Major von Tellheim zurück zu erobern, beginnt eine überaus spannende Prozedur. Bevor sie ihn im Laufe des Abends mit hochnotpeinlichen Befragungen, einer kleinen Notlüge und den vertauschten Verlobungsringen zurückgewinnt, gilt es sich zu wappnen. Während die Kammerzofe Franziska dem Fräulein Minna von Barnhelm hilft Strümpfe, Strumpfbänder, Korsage und Reifröcke anzulegen, bewaffnet sich der weibliche Leib immer mehr mit den Zeichen des 18. Jahrhunderts. Weiblichkeit wird mit größter Perfektion inszeniert. Schmale Mieder pressen die Brüste ins Dekolleté; weit ausladende Reifröcke betonen das Becken. Kaum stehen Minna und ihr Kammerfräulein fertig angekleidet auf der Bühne, suggeriert die Faszination ihrer Präsenz den weiteren Verlauf der Handlung im Dilemma zwischen Lust und Pflicht.

Das alles vor einem äußerst sparsamen Bühnenbild aus verschiebaren Wänden in kaltem preußischen Blau. Gerade mal ein paar Stühle stehen herum und warten auf Besucher. Umso prunkvoller die großen Roben der Damen die in sattem Orange und warmen Gelbtönen die Komplemetärfarben des Bühenhintergrundes aufnehmen und erst so selbst zu leuchten beginnen. Und je historischer die Kostüme sind, desto erstaunter ist man über den Gehalt der Rede: offenherzige Frauengespräche über die Liebe. Denn was Minna der Freundin da über ihre unglückliche Liebe zum verschollenen Major Tellheim gesteht, das könnte auch heute zwischen vertrauten Freundinnen geplaudert werden.

Regisseurin Bettina Fless weiß, was sie tut: „Den Zauber der Sprache wiederzuentdecken und die Bühne in diesem Sinne als Sprechtheater zu sehen, das genau hat mich interessiert“, sagte sie zur Absicht ihrer Arbeit. Durch genaue Lektüre fördert sie aus dem scheinbar bekannten Stück Überraschendes zutage: eine ewig gültige Thematik, starke Frauenrollen, große Gefühle und vor allen Dingen Lessings schöne Sprache.

Bettina Fless enthält sich vollständig der gegenwärtigen Mode, das Stück gegen den Strich zu lesen und durch ironische Brüche zu dekonstruieren. Auch offensichtliche Aktualisierungen sind nicht untergebracht. Hier stehen keine Fernseher oder Videoinstallationen auf der Bühne herum. Die Inszenierung wagt einen historischen Bezug in einer fast perfektionistischen Rückwendung ins 18. Jahrhundert. Mutig stellt sich die Regisseurin der Größe des Stücks. Auch scheint sie keinerlei Angst vor dem Pathos zu haben. Daß Minna von Barnhelm hier um ihre große Liebe kämpft, alles einsetzt, um den verstockten Tellheim aus seinen männlich-preußischen Ehrbegriffen zu befreien, daran ist ihr absolut nichts peinlich.

Das ist erstaunlich, denn sich nach über zweihundert Jahren auf Lessings Begriffe von Liebe und Ehre einzulassen, könnte altmodisch oder verstaubt wirken. Schließlich werden hier Menschen gezeigt, denen es furchtbar ernst ist. Die kein „irgendwie“ oder „vielleicht“ durchgehen lassen. Aber Lessings Dialogführung hat keine Ähnlichkeit mit einem trockenen Traktat. Die Sprache verfügt über sinnliche Kraft, fügt sich in langen, eleganten Bögen und einem Satzbau, der die Hoffnung aufrecht erhält, daß auch Kompliziertes einfach zu sagen ist.

Nach überaus intelligenten Schachzügen, mit denen Minna sich zu erklären versucht, warum denn der Major von Tellheim nun so unnahbar wirkt, kommt sie zum Punkt: „Liebst du mich noch, ja oder nein?“ – „Ja, noch.“ – „Gut, das ist vorerst alles was ich wissen muß.“ Und ihre Frage könnte auch heute gestellt werden, oder muß es wohl möglich auch noch morgen. Wie aber wäre es besser zu sagen?

Daß das Konzept der Inszenierung aufgeht, hat die Regisseurin ihren Schauspielern zu danken. Irene Kleinschmidt spielt ihre Minna als eine starke und selbstständige Frau, die bei ihrem Unterfangen, dem verlorenen Geliebten nachzureisen, nicht nur die Würde bewahrt, sondern auch charmant sein kann. Das Ganze gelingt ihr mit solch einer Leichtigkeit und Identifikation mit der Rolle, daß ihre Minna im Heute zu leben scheint.

Ihre zuerst fast zufällig wirkenden komischen Seiten gewinnt die Aufführung dann durch die Rollen der Bedienten und Freunde, allen voran: die Kammerzofe Franziska. Während der letzten Redeschlacht zwischen dem Major und Minna, als diese sich vollends in ihren eigenen Fallstricke zu verheddern droht, sitzt Gabriele Maria Schmeide als „Frauenzimmerchen“ auf einem Stuhl an der Wand im Hintergrund. Die Hauptakteure ergehen sich in pathetischer Ernsthafigkeit, sie kommentiert das Geschehen. Wie eine Stummfilmdarstellerin, der das Sprechen verboten bleibt, windet sie sich in expressiven Gesten. Ohne Worte bringt sie auf den Punkt, was man im Zuschauerraum gerade denkt. Und provoziert nicht endendes Gelächter.

Als sich der Vorhang nach überaus kurzweiligen drei Stunden senkt, brandet enthusiastischer Beifall auf. Je länger er dauert, gilt er nicht nur dieser einen Inszenierung: Hier wird auch der Arbeit des Intendanten applaudiert, die solch einen Abend erst möglich gemacht hat.

Susanne Raubold

Nächste Vorstellungen: 17., 19., und 28. Januar, jeweils um 20 Uhr

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