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Schön dekoriertes NimmerlandKapitän Hooks Melancholie

Die Kinder sind andere geworden, nur Peter Pan ist derselbe geblieben. Robert Wilson inszeniert „Peter Pan“ im Berliner Ensemble.

Jede Bewegung hat ihr Geräusch: Tinkerbell (Christopher Nell) und die Lost Boys. Bild: Lucie Jansch

Peter Pan kenn ich. Das denkt eigentlich jeder. Aber kennt man wirklich Songzeilen wie diese: „Ich wär dir ’ne Decke / ist dir kalt / Wäre dir ein Krückstock / wirst du alt / dein Rollator.“ So besingt ein kleines Mädchen, Wendy, ihren Entführer, Peter Pan. Er hat sie aus ihrem Kinderbett in eine Wildnis verschleppt, in der es zwar Piraten und Indianer gibt, aber keine Zeit und keine Entwicklung – nur eine immerwährende Kindheit.

Eigentlich eine unglaubliche Geschichte, die das Theaterstück „Peter Pan“, von James Barrie Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben und 1951 von Erich Kästner ins Deutsche übersetzt, erzählt. Am Berliner Ensemble hat nun Robert Wilson, am Hause ein gern gesehener Gast seit 1998 und internationaler Star des Theaters seit mehr als drei Jahrzehnten, „Peter Pan“ inszeniert.

Der Regisseur bat die CocoRosies, die Musik dazu zu schreiben. Weil die Musik der beiden Schwestern Bianca und Sierra Cassady, die selbst oft wie eine theatralische Inszenierung klingt, eine ganz andere Fangemeinde hat als das BE, ist dies taktisch schon mal ein gelungener Schachzug zur Publikumsauffrischung.

Jedes Zucken hat seinen Klang

Doch was sie zusammen hinkriegen, greift etwas zu gut geölt und illustrativ eines ins andere. Jedes Zucken mit dem Zauberstab der Fee Tinkerbell, jedes ängstliche Umschauen von Kapitän Hook, ob Peter Pan oder das Krokodil hinter ihm her ist, jeder Gluckser von Wendy, deren Körpersprache nahe am Windelalter liegt, wird akustisch akzentuiert und verschnörkelt. Spieluhren, Flöten, einzeln geklimperte Töne überhöhen die künstliche konstruierte Kindlichkeit der Szenerie und untermalen ihren Slapstickcharakter. Schnell wird das aber auch überdeutlich.

Überhaupt, die Überdeutlichkeit, sie raubt dem Stück etwas von seinem Schillern. „Peter Pan“ wimmelt ja von skurrilen Konstellationen und widersprüchlichen Figuren. Kapitän Hook, der Grausame, besingt etwa in einer wunderbaren Ballade, dass Peter Pan nicht nur sein einziger Feind, sondern auch sein einziger Freund ist und ihn zu jagen das einzige Motiv seiner Existenz. Das unaufgeregte Understatement, das Stefan Kurt dieser melancholischen Figur gibt, steht Hook überraschend gut.

Allzu sprechende Maske

Widersprüchlich ist auch Wendy: Selbst noch ein Kind soll sie die Mutter der Lost Boys, der verlorenen Kinder, spielen und pendelt dabei zwischen der Lust am Bösen und Strengen und Heimwehanfällen nach der eigenen Mutter hin und her. Sie parodiert, was sie vermisst. Dieser Widerspruch ist Anna Graenzer schon mit der Schminke ins Gesicht gemalt.

Die Lieder sind die Höhepunkte der Inszenierung. Etwa wenn Wendys Mutter (Traute Hoess) mit einer Stimme, vom Weinen und Schreien schon jeder Modulation beraubt, dennoch laut ihre Trauer und Wut gegen die Götter heraussingt. Oder auch, wenn Peter Pan singt „to die would be an awfully great adventure“, den einzigen Schlusspunkt der Jugend, den er sich denken kann. Bloß nicht älter werden.

Die Instrumentierung von CocoRosie, die übrigens vom 1. Rang aus zusahen und zum Applaus selbst Pans Hymne an den frühen Tod sangen, greift mit ihren narrativ verwobenen Elementen gut. Eine ins Extrem getriebene Verniedlichung auf der einen und etwas Unheimliches auf der anderen Seite gehört zu ihrer musikalischen Handschrift.

Aus Langeweile Soziolekte

Doch zwischen den Songs tendierte die Inszenierung zu Mätzchen. Peter Pan (Sabin Tambrea), szenisch unterfordert, verfällt wie aus Langeweile mal in diesen, mal in jenen Soziolekt, andere Dialogworte verzerrt die Technik. Uninspirierte Choreografien, die wenig nur noch ahnen lassen von der Exaktheit und Sparsamkeit, für die Wilson einmal berühmt war, vermasseln die Gruppenszenen der Lost Boys und der Piraten.

Matthew Barries Vorlage liefert eine sentimentale und der Sentimentalität gegenüber zugleich ironisch eingestellte Verklärung der Kindheit. Kindheit hat sich verändert, seit er „Peter Pan“ schrieb, Peter Pan verändert sich nicht. Dennoch handelt das Stück von vielem, das in unserem gegenwärtigen Blick auf die Kindheit und unsere Wunschbilder von ihr, vornehmlich unter den Vorzeichen der Skandalisierung oder der Infantilisierung wahrgenommen wird. Von dieser Spannung ist in der Inszenierung zu wenig zu spüren. Sie ruht sich dann doch auf ihren Showwerten aus.

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