Schön-Schwätzer: Schillfähig?
■ Die Grünen & das Erbe der Salonkultur
In einen Salon lud einst eine gesellschaftlich höher gestellte Dame, und die Gäste zahlten ihren „Eintrittspreis mit süßen Tönen und angenehmer Conversation“, so das „Damen-Conversationslexikon von 1835“. Ob sich Susan Mittrenga von den Bremer Grünen gerne in dieser Tradition sieht, kann bezweifelt werden, aber der Kreisverband Mitte/Östliche Vorstadt veranstaltet nun mal eine Reihe mit dem Titel „Grüner Salon“ im Literaturcafé Ambiente, und so weckt der Abend Assoziationen an antiquierte, schwerstbürgerliche Umgangsformen, denn schon im 19. Jahrhundert degenerierte der Salon vom „Brennpunkt der Avantgarde zum Refugium der Tradition“ (Brockhaus 1996).
Dabei ist „Der Grüne Salon“ nicht viel mehr als ein informelles Treffen von Grünen und (eher wenigen) interessierten Mitbürgern, bei dem ein Referent seine Thesen vorträgt und danach ein wenig diskutiert wird. Beim ersten Salon zum Thema „Unser Amerikabild nach dem 11. September“ waren etwa 40 Gäste gekommen, und damit war der kleine Saal des Ambiente auch schon voll gefüllt. Am Donnerstag kamen zum Thema „Schill und die Folgen“ gerade mal 20 Gäste, die meisten davon die üblichen Verdächtigen von den Bremer Grünen. Eingeladen war der Politologe Frank Decker von der Uni Bonn und als „special guest“ (bei dieser Wortwahl würden in einem richtigen Salon sicher die kultivierten Nasen gerümpft) war noch der „local intellectual hero“ Lothar Probst geladen. Nach einer kurzen Einführung durch die Gastgeberin, Madame Mittrenga, ging es um eine gut verständliche Analyse des Phänomens Schill und der „Perspektiven des neuen Rechtspopulismus in der Bundesrepublik“.
Nach Schills überraschendem Erfolg, der durch seine Popularitat als „Richter Gnadenlos“, sein Charisma und die geschickte Zurichtung auf das Reizthema „Kriminalität“ erklärt wurde, bemerkt Decker jetzt schon eine „Entzauberung“ seiner Partei, die auf den großen Wahlerfolg nicht vorbereitet war, weshalb die gewählten Vertreter aus seiner Partei vor allen Dingen durch „fehlende Professionalität“ auffielen. Außerdem ist es immer fatal, wenn eine Partei, die Protestwähler bindet, plötzlich mit an die Regierung kommt. Dass es hierbei durchaus Parallelen zwischen der Schillpartei und den Grünen gibt (sowohl zu ihren überraschenden Anfangserfolgen wie auch zu ihrer jetzigen Situation) war ein überraschendes Ergebniss der nachfolgenden Diskussion, die allerdings eher ein Frage- und Antwortspiel war, bei dem Decker jeweils fundierte, aber auch sehr lange Antworten gab.
Von Esprit, geistreichen Wortgefechten, literarischen Aperçus war da nichts zu bemerken, und wenn Decker einmal davon sprach, dass Schill versuche „salonfähig“ zu werden, fiel dies kaum jemandem auf. Immerhin fehlte aber ein Archetyp des Salonlebens nicht: ein Schwätzer war da gekommen, der seinen langen, völlig unverständlichen Diskussionsbeitrag mit vielen Ähems, Plattitüden und ineinander gedrechselten Halbsätzen aufblähte. Aber der alleine machte noch keinen Salon – die Bremer Grünen haben im Ambiente höchstens den guten alten Debatierclub wiederbelebt.
Wilfried Hippen
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