: Schnurrhaarträger im Trend
Gegenwärtig hat Ikea drei Modelle zur Auswahl: Snørre, Øresund und Uppsala
Natascha K. ist Krankenschwester in Berlin. Wenn sie früher von der Arbeit nach Hause kam, begannen für sie immer die „Rituale der Einsamkeit und Kälte“, wie sie sagt: die Tür zur leeren Wohnung aufschließen, Kohlen schleppen, Ofen anheizen, Kaffee machen, warten, bis es warm wird, und dann einsam vor dem Fernseher herumliegen. „Heute“, strahlt Natascha, „ist alles anders!“ Wenn sie die Tür zur leeren Wohnung aufgeschlossen hat, wenn sie Kohlen schleppt und den Ofen anheizt, wenn sie in der Küche Kaffee macht und wartet, bis es warm wird, scharwenzelt ihr schon schnurrend ein samtpfötiger Freund um die Beine, mit dem sie sich dann auch vor den Fernseher legen kann: „Das ist Øresund, mein Katerchen. Er macht das Leben lebenswerter!“
Ähnliches schildert auch Richard S., Anwalt aus München, der sich für seine Schwabinger Dachgeschosswohnung so allerhand an Unterhaltungselektronik leisten konnte – nicht aber jene Nähe und Wärme, die für „kein Geld der Welt zu kaufen sind“, wie er früher dachte. Nun leistet ihm Snørre Gesellschaft, eine flauschige Perserkatze mit süßem Wuschelschwänzchen.
Richard ist sicher: „Eigentlich wollte ich mir eine dieser beleuchteten Wassersäulen kaufen. Aber Snørre macht den Feierabend feierlicher!“
Dass Katzen Wohnungen wohnlicher machen, gehört zu den ältesten Erkenntnissen der zivilisierten Menschheit, wie Gunnar Stockholmson weiß: „Schon die alten Ägypter, Chinesen und Inder wussten das. Und natürlich auch wir Schweden.“
Als Abteilungsleiter ist Stockholmson für die Produktpalette des Einrichtungshauses Ikea zuständig. Ihm ist zu verdanken, dass Natascha und Richard sich nicht mehr so einsam fühlen müssen.
Seit dem 29. Januar können sich in 78 der 378 Ikea-Filialen die Kunden aus hygienischen Gehegen ein Kätzchen aussuchen. Gegenwärtig hat Ikea drei Modelle zur Auswahl: Snørre, Øresund und Uppsala, erhältlich in beiderlei Geschlecht, auf Wunsch auch entwurmt und kastriert. Den relativ hohen Preis von 699 Mark das Stück begründet Stockholmson mit sanitären Auflagen und sagt: „Es ist ein Pilotprojekt. Wenn wir Erfolg haben, werden wir auch mit den Preisen runtergehen“. Außerdem gibt’s als Zubehör drei Säcke Katzenstreu gratis und, für große wie kleine Geschäfte, ein geruchspassives Katzenklo, Modell Katzenklø.
Kurt Lindemann, Filialleiter des Ikea-Einrichtungshauses Erding bei München, erklärt sich den reißenden Absatz der Schnurrhaarträger mit Angebot und Nachfrage: „Die Menschen wollen wieder kuscheln. Sie wollen etwas Warmes kuscheln, etwas, das sich bewegt, kitzelt, kratzt und schnurrt und eines Tages vor ein Auto läuft.“
Lindemann ist sicher: „Eine Katze ist weniger Tier als Möbel.“ Zwar könne man sich schlecht auf sie setzen, schlecht ließen sich Tassen und andere Utensilien auf ihr abstellen, doch habe die Katze andere Qualitäten: Neben der Wohnlage hängt die Wohnzufriedenheit von zwei Faktoren ab, nämlich von der Einrichtung und den Mitbewohnern. Eine Katze sei beides, so Lindemann.
Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der geschäftstüchtigen Skandinavier. „Aufs menschliche Gemüt haben Katzen einen Effekt“, weiß Stockholmson, „wie wir ihn von Lavalampen und Kerzen kennen. Der Kunde sediert, fühlt sich daheim geborgen und ein bisschen müde.“
Und weil dies exakt dem Gefühl entspricht, mit dem Ikea-Kunden am Ende einer Einkaufstour zu kämpfen haben, werden die Katzen auch unmittelbar vor der Kasse feilgeboten, zwischen Topfpflanzen und anderem dekorativen Schnickschnack. So schlüssig ist diese Idee, dass sie prompt Neider auf den Plan rief: Weil das besonders kindersichere Modell Uppsala ohne Krallen auskommen muss, hegen Tierschützer den Verdacht, dass die Katzen eigens für Ikea geklont sein müssen.
Stockholmson bestreitet das vehement, will aber auch die wahre Herkunft der Tiere nicht enthüllen: „Wo bliebe da das Geheimnis? Uppsala ist ein so geheimnisvolles Wesen.“ Von esoterischem Mummenschanz à la Feng Shui will man bei Ikea nichts wissen. Lindemann beugt sich vor und sagt vertraulich: „Der Trend geht zur Katze. Vergessen Sie nicht diesen besonderen Thrill. Ein Blick in diese bernsteinfarbenen Augen, und ich weiß, wäre ich nur 159 Zentimeter kleiner, würde sie mich verputzen.“ ARNO FRANK
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