Schnüffeln in Redaktion

Weil die Wolfsburger Allgemeine Zeitung mehr wusste, als die Polizei erlaubt, zapften Beamte Journalisten-Telefone an. Die Spitzelaktion bringt Niedersachsens Innenminister in die Bredouille

Der Ministerpäsident war not amused

Von Kai Schöneberg

„Einige Leser wollen bereits wissen, ob sie weiter unbesorgt bei uns anrufen können“, sagt Carsten Baschin, Chefredakteur der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung. Seine WAZ ist Opfer einer umstrittenen Abhöraktion geworden. Wie sicher können Informanten sein, wenn sie Journalisten Vertrauliches erzählen, ist die Frage, die mittlerweile nicht nur den Landtag beschäftigt, sondern auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) in die Bedrouille bringt.

Angeblich sollen zwei Polizisten der WAZ seit Jahren Dienstgeheimnisse gesteckt haben. Um zu prüfen, ob Redakteure die U-Boote bestechen, hatte die Polizei an fünf Tagen in den Jahren 2003 und 2004 die Kontaktdaten der zentralen Telefonvermittlung der WAZ sowie die Dienstanschlüsse, Privathandys und -telefone zweier WAZ-Reporter aufgezeichnet. Das wurde erst bekannt, als die Journalisten eine Vorladung zur Vernehmung erhielten. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren im vergangenen Sommer ein.

„Die Polizei hat völlig korrekt gehandelt“, sagte Schünemann gestern zur taz, über Details schwieg er. „Im Rahmen der geltenden Rechtslage konnten Polizei und Staatsanwaltschaft nicht anders handeln“, verteidigte Justizministerin Elisabeth Heister- Neumann (CDU) ihren Ministerkollegen. Aber da auch bei ihr „die Alarmglocken geklingelt“ haben, kündigte sie – wie die FDP – eine Bundesratsinitiative an, die den Informatenschutz für Journalisten verstärken soll. Während die FDP die Aktion als „heikel“ empfindet, soll auch Ministerpäsident Christian Wulff (CDU) not amused gewesen sein. Offenbar ist Heister-Neumann nur auf sein Betreiben aktiv geworden, weil hier „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“ worden sei. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger erklärte gestern, durch die „völlig übertriebene Aktion“ sei der Informantenschutz „regelrecht mit Füßen getreten worden“. Der Deutsche Journalistenverband verlangte von Wulff sogar, „gegebenenfalls personelle Konsequenzen“ in der „Schnüffelaffäre“ zu ziehen.

Die Aktion sei „unverhältnismäßig und rechtswidrig“, gewesen, sagt der Grüne Hans-Albert Lennartz. Wie sein SPD-Kollege Heiner Bartling forderte er Schünemann gestern auf, selbst vor dem Innenausschuss Stellung zu nehmen.

Offensichtlich sind nicht nur Journalisten-Telefone überwacht worden. Laut einem WAZ-Bericht sollen die Polizei-Ermittler auch eine fingierte Akte über angeblich betrügerische Machenschaften im Wolfsburger Klinikum erstellt haben. Diese Köder-Akte sei mit Kameras bewacht worden, um zu prüfen, ob die verdächtigten Polizisten zugreifen und erneut bei der WAZ, die zum Madsack-Verlag gehört, „petzen“. Dass Dritte – wie das Krankenhaus – in den Schmutz gezogen werden, findet Bartlin skandalös: Bei einer Veröffentlichung „hätte das einen nicht wiedergutzumachenden Schaden bedeutet“.

Für „hanebüchenen Unfug“ hält WAZ-Chef Baschin den Verdacht, seine Kollegen seien auf die Polizei angewiesen. Vielmehr vermutet er, es sei zu den Überwachungen gekommen, weil die WAZ mehr wusste als die Polizei erlaubt. Bei den Anlässen, die zur Überwachung führten, habe es sich nicht um Polizeiinformationen gehandelt. Bei einem Fall hatte die WAZ der Polizei offenbar ungenehme Details über einen Überfall auf ein Sportgeschäft berichtet. Baschin: „Sport-Scheck ist 200 Meter von der Redaktion entfernt – da brauchen wir keine Informanten. Wir haben gesehen, dass dort Polizeiwagen standen.“