: Schnörkel an der Fassade
■ betr.: Berichterstattung und Diskussion über die von der bundesdeutschen Justiz beantragte Auslieferung der in der DDR verhafteten ehemaligen Mitglieder der RAF
betr.: Berichterstattung und Diskussion über die von der bundesdeutschen Justiz beantragte Auslieferung der in der DDR verhafteten ehemaligen Mitglieder der RAF
In der Berichterstattung und Diskussion (...) fehlt ein entscheidender Gesichtspunkt, der die Auslieferung verbietet: das Völkerrecht.
Das Völkerrecht verbietet zum einen die Auslieferung von Staatsangehörigen (wie auch schon die Verfassung der DDR). Zum anderen ist die Auslieferung dann verboten, wenn dem Betroffenen schwere Menschenrechtsverletzungen in dem Land drohen, in das er ausgeliefert wird. Käme es zu einer Auslieferung, so würden die betroffenen Gefangenen dem politischen Sonderrecht auf Grund § 129 a StGB („Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“) unterworfen werden, das heißt Isolationshaft, Einschränkungen des Rechts auf Verteidigung, kein fairer Prozeß (sondern zum Beispiel Verurteilung wegen einzelner Handlungen, ohne daß diese dem Angeklagten nachzuweisen wären, vergleiche den aktuellen Prozeß gegen Luitgard Hornstein in Stammheim), keine Haftentlassung bei Haftunfähigkeit, Kontaktsperre.
Diese Praxis verstößt gegen die internationalen Menschenrechte. Dementsprechend hat der UN -Menschenrechtsausschuß kürzlich (auf seiner Sitzung in New York am 27. und 28. März 1990) die BRD kritisiert, wie bereits 1978 und 1986 (vergleiche taz vom 30.März 1990).
Der Antrag auf Auslieferung und der damit verbundene öffentliche Druck auf die DDR ist eine Verletzung der Souveränität der DDR und zeigt auch, wie die BRD sich ein „einiges Europa“ mit einem „europäischen Rechtsraum“ vorstellt: die BRD entscheidet als Herr im „europäischen Haus“ souverän - unter Bruch des Völkerrechts -, was Recht ist und was nicht; die Menschenrechte werden zu einem Schnörkel an der Fassade des „europäischen Hauses“.
Hans-Michael Empell, Heidelberg/BRD
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