■ Schnittplatz: Flimmern und Rauschen
Eines Tages bescherte uns die Unterhaltungsindustrie eine neue Errungenschaft: das Fernsehen. Und uns(eren) Kindern eine neue Unartigkeit: fernsehen. Und ein neues populärpädagogisches Schreckensbild gab's gratis: viereckige Augen. Nach Schwarzem Mann und Rückenmarksschwund drohten die Eltern nun: „Kind! Du hast ja schon ganz viereckige Augen! Jetzt mach doch mal die Flimmerkiste aus.“
Doch die Technik wurde besser, das Flimmern abgeschaft — und damit auch die Flimmerkiste. Jetzt kann man wieder „Flimmerkiste“ sagen und dabei ganz (anti)autoritär-besorgt dreinschauen: „Wenn du jetzt nicht sofort deinen Fernseher ausmachst, dann wird er zur Flimmerkiste!“ Danke, Japan! Du fernes, fremdes Land bescherst uns nicht nur Sushi, Tamagotchi und Ginsengkapitalismus, sondern nun auch diese Sache mit „Pokemon“: rot-blau-rot-blau-... 54mal in fünf Sekunden flimmerte es da am Dienstag abend während einer japanischen Zeichentrickserie über die TV-Kisten, und der zuschauende Fernsehnachwuchs zappelte: 700 epileptische Anfälle in fünf Sekunden! Massenepilepsie in Japan! Prompt rief die obskure Meldung die TV-Schmäher auf den Plan. Weil es nämlich nicht in einer „Heidi“-Folge, sondern während der Explosion einer „Impfbombe“ in der einem Nintendo-Computerspiel nachempfundenen Serie „Pokemon“ flimmerte, rauscht's nun in den Köpfen: „Eltern müssen generell Filme mit Gewalt und vulgärer Sprache für ihre Kinder streichen“, mahnt die japanische Eltern- und Lehrervereinigung PTA. Und die Frankfurter Rundschau weiß: „Nun zogen 600 kleine Gehirne die Notbremse.“ Schließlich seien Fernseher und Videospiele „keine billigen Erzieher“ und so weiter und so fort. Dabei, so Klaus Herbolz vom Kölner Max-Planck-Institut, könne eine derartige Reaktion (bei genetischer Veranlagung) auch während einer Eisenbahnfahrt ausgelöst werden, wenn der Zug rasch an einer Baumreihe vorbeifährt. Sogar ein blinkendes Karussell auf dem Weihnachtsmarkt könnte bei Kindern zu Körperkrämpfen führen. Aber vor Weihnachtsmärkten warnt mal wieder niemand. Dabei sind die weder besinnlich noch gewaltfrei.Christoph Schultheis
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