■ Schnittplatz: Kopftuch-Konjunktur
„Für diejenigen, die den Islam verstehen wollen, ist er kein riesiges Rätsel, kein unwandelbares Unikum, kein rückständiger Rest“, – diese so einleuchtende wie banale Feststellung steht auf den hinteren Seiten des aktuellen Spiegel Special. Vielleicht hätten dessen Gestalter mal das eigene Heft aufmerksam durchblättern sollen. Auf der Titelseite nämlich prangt in fetten Lettern „Rätsel Islam“.
Nicht der einzige Widerspruch: Noch ausgeprägter zeigt sich der Gegensatz zwischen kritischer Berichterstattung und reißerischer Aufmachung – wie so oft – in der Bildersprache: Flankiert wird der Titel über die vorgebliche „Weltmacht hinterm Schleier“ (?) mit den obligatorischen Frauenaugen unterm Tschador. Hat man das nicht schon mal irgendwo gesehen? Doch ein Klischee kommt selten allein: Keck trägt die Fundi- Frau, zwecks Gruseleffekt, auf der linken Augenbraue die schwarzen Kajal-Umrisse eines Schwerts. Für geübte Leser unschwer zu erkennen: das Schwert des Islam.
Für diese vorsätzliche Doppelung abgedroschener Islam-Symbolik verdienen die Spiegel-Grafiker eigentlich die schlimmsten aller Scharia-Strafen an den Hals. Doch längst ist die Phantasielosigkeit in deutschen Fotoredaktionen zur Manie geworden. Wenn es um den nahen Osten geht, erfreut sich besonders ein Motiv großer Beliebtheit: die rundum verschleierte Frau. Als visuelles Zeichen kultureller Differenz, geheimnisvoll und dunkel, bildet es häufig einen interessanten Kontrast zu gutgemeinten Artikeln der Marke „Nicht alle Moslems sind Monster.“ Aber was, wenn sie eine Kalaschnikow unterm Kittel trägt?
Die Monotonie der Bildauswahl vermittelt den Eindruck eines homogenen Anderen. Schon ein flüchtiger Blick in die aktuelle Presse zeugt von der Kopftuch- Konjunktur. Blättert man zum Beispiel durch die Berichte über den Streit zwischen der Türkei und der EU, so stößt man in Zeit und Woche unweigerlich auf Kopftuchtürkinnen als Illustration. Das ist schon ein wenig seltsam, wo es doch um die offizielle Politik der Türkei geht – immer noch ein Land, in dem das Tragen des Kopftuchs im Parlament verboten und in den Universitäten heftig umstritten ist.Daniel Bax
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