Schnauze voll, den „Tatort“ auf dem Rechner zu gucken: Ein neuer Fernseher
Ausgehen und Rumstehen
von Lea Streisand
Letztes Wochenende ist gar nichts passiert, zumindest nicht bei mir. Mein Freund und ich haben uns nämlich einen Fernseher angeschafft, einen echten. Dünn wie ein Magermodel aus den Neunzigern ist er, aber breit wie ein Teenager nach dem dritten Joint. „Hartz-IV-Empfänger“ nennt mein Cousin das Gerät aufgrund bestehender Vorurteile, was aber, zumindest in unserer Familie, völliger Quatsch ist; ich bin die einzige Angehörige, die jemals Arbeitslosengeld II bezogen hat, und ich hatte bis vor drei Tagen gar keinen Fernseher.
„Ey!“, protestiert Paul, als er mir beim Schreiben über die Schulter guckt, „wir hatten einen Fernseher!“ Ich gucke ihn an. „Meinst du die fiepende Kiste, die ich von Mütterchen geerbt habe?“ Mütterchen war meine Großmutter, sie ist vor zehn Jahren gestorben. Die Kiste war von Daewoo, diesem Autokonzern, der vor 16 Jahren aufgelöst wurde. Unter allen Geräuschen und Bildern, die diese Glotze sendete, war so ein Tinnitus-Fiepton, den man nicht ausschalten konnte. „Ich konnte sehr schön Sonntagmorgens „How I met your mother“ drauf gucken“, sagt Paul. Da hat er recht. Wenn ich sonntags aufstehen musste, um ein „Ausgehen und rumstehen“ zu schreiben, blieb er immer noch liegen und kicherte sich mit Pro7 aus dem Halbschlaf.
Nun ist der alte Fernseher im Keller, und Paul stapft schlechtgelaunt um mich herum. Der neue Fernseher steht nämlich in meinem Zimmer. Vorerst. Ich hatte einfach die Schnauze voll davon, auch noch den „Tatort“ auf meinem Rechner gucken zu müssen, wo ich schon den ganzen Tag dumme Facebook-Meldungen, alberne Twittersprüche und meine eigenen kreativen Ergüsse darauf lesen muss. Als unser Nachbar dann letzte Woche mit Fernseher Nummer drei die Treppe hochkam, war ich endgültig bedient. „Fürs Schlafzimmer“, keuchte der Nachbar. Für Wohnzimmer und Kinderzimmer hatten sie schon zwei, die beide so groß sind, dass unser neuer dagegen aussieht wie ein Stullenbrettchen.
Die Nachbarn haben zwei Töchter, die ich manchmal ins Bett bringe, wenn die Eltern abends ausgehen. Dann essen wir zusammen Abendbrot, und die Mädchen erzählen mir Pupsgeschichten. Sie sind 4 und 8 Jahre alt. Reizendes Alter.
„Wenn ihr wollt, kann ich euch nachher noch was vorlesen“, sagte ich neulich nach dem Abendbrot zu den beiden. Sie sahen mich an, als hätte ich gerade vorgeschlagen, jeder solle noch eine leckere Schüssel Grünkohl zum Nachtisch verspeisen.
Jetzt steht unser neuer Fernseher auf dem Regal neben mir als schwarzes Brett an der Wand und spielt ein Klavierkonzert. Er kann nämlich sogar Radio! Paul war irrsinnig glücklich, als er Freitagabend beim Zappen Eurosport fand. „Und einen Regionalsportsender, der die ganze Zeit Viertliga-Fußball und Drittliga-Eishockey überträgt!“, erzählte Paul mir später und seine Augen strahlten. Ich hatte eine Lesung und war nicht dabei. Auf dem Mütterchen-Fernseher konnte man gar keinen Fußball mehr gucken. Man hat den Ball nicht mehr gesehen. Fußballübertragungen sind einfach nicht mehr eingerichtet auf Empfangsgeräte, die kleiner sind als ein barockes Schlachtengemälde.
Als ich gestern Nacht nach Hause kam, fand ich Paul schlafend in eine Wolldecke gewickelt auf dem Sofa. „Schätzchen“, sagte ich, „warum bist du denn nicht im Bett?“ – „Ich kann nicht“, nuschelte er schlaftrunken, „auf ZDFneo kommt Spartacus!“ Richtig, gerade wurde auf dem Bildschirm ein fast lebensgroßer Römer von einem überlebensgroßen Kirk Douglas in einem Topf Suppe ersäuft.
Vielleicht sollten wir doch über die Anschaffung eines Zweitgeräts nachdenken fürs Schlafzimmer. Ich werde mal den Nachbarn fragen, wo er seine her hat. Vielleicht gibt es die im Dutzend billiger.
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