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Schnäppchen und Hamster Von Mathias Bröckers

Am Silvestertag im Hessischen: Unser Golf braucht Sprit, aber an den Tankstellen ist die Hölle los. Autoschlangen über den halben Supermarkt-Parkplatz. Ja was ist denn das? Aaah, die Benzinpreiserhöhung. Aber die Dieselsäule müßte frei sein, da wird's doch nur sieben Pfennig teurer – denkste. Mindestens 20 Dieselsäufer stehen an, macht circa eine Stunde Wartezeit im stinkenden Stau – für insgesamt 3 Mark 50 Ersparnis. Wir vertagen das Tanken aufs neue Jahr und nutzen die gewonnene Zeit zu einer Meditation über die Psychologie von Schnäppchenjagd und Hamsterkauf. Wie kommt es, daß Tausende deutsche Autofahrer für 3 Mark 50 eine Stunde ihrer Freizeit opfern – und auch noch das Gefühl dabei haben, etwas Vernünftiges zu tun? Dasselbe gilt für Jäger des verlorenen Schnäppchens, die beim Schlußverkauf schon eine Stunde vor Ladenöffnung die Tür eindrücken und sich am Wühltisch Ellenbogenschlachten liefern.

„Sparen“, so zeigen diese Beispiele, kann zur zeitraubenden und teuren Dauerbeschäftigung werden – vom cleveren Verbraucher zum irren Billigheimer ist es nur ein kleiner Schritt. Die „vernünftige“ Konsumgesellschaft ist nur ein Haar von völlig idiotischer Hamster-Hysterie entfernt. Ganz anders ging es dagegen an einem Gemüsestand in Gambia zu, wo ich einmal Limonen einkaufte: Je mehr man davon nahm, desto teurer wurden sie. Der Händler erklärte seine nach oben offene Preisstaffel damit, daß er möglichst immer einige Limonen behalten wolle, um noch andere Kunden komplett bedienen zu können. Ich kaufte also nur so viel wie unbedingt erforderlich.

Als Paradigma für eine Verteilung knapper Güter könnte diese westafrikanische Preisgestaltung Schule machen – auch und gerade beim Benzin. Das ist zwar nicht knapp, sondern fließt als Rohöl reichlich und billig wie nie, muß aber, weil es die Atmosphäre zusehends verpestet, dringend verknappt werden. Die gambische Limonen-Preisstaffel bietet sich da geradezu an – wird an der Tanksäule jeder Liter teurer, tankt jeder nur noch so viel wie unbedingt nötig.

Limousinefahrende Schnäppchenjäger könnten auf die billige Tour ihre Tanks fünfliterweise füllen – derart vollzutanken wäre dann eine Ganztagsbeschäftigung, ein Eldorado für manische Sparer und fanatische Billigheimer. Wenn diese auch noch Biertrinker sind, naht das Schnäppchen-Nirwana schon jetzt – in Form der allenthalben eröffnenden „Bierbörsen“, in denen die Trinker die Preise durch ihre Nachfrage selbst bestimmen. Die Kurse von Becks, Bit und Co. Werden an der Kurstafel notiert – ein Kampftrinkertruppe, die sich gerade zielstrebig ins Koma gegurgelt hat, hinterläßt für den Neuankömmling traumhafte Einsteiger- Kurse. In derlei freien Marktwirtschaften tauchen Schnäppchenjäger kurz vor Lokalschluß auf, um sich in Rekordgeschwindigkeit das nötige Quantum zuzuführen.

Die Jagd nach dem besten Brocken, das paranoische Horten von Vorräten, die Angst vor dem Zukurzkommen – Schnäppchenjäger und Hamsterkäufer nehmen auch Mühen auf sich, die hinter denen der steinzeitlichen Jäger und Sammler nicht zurückstehen. Eine Stunde lang Abgase inhalieren, um rechtzeitig vor dem Steuerwinter noch einen vollen Tank nach Hause zu apportieren – das ist die Urhorde 94, postmoderne Steinzeit.

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