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Schmutz, Schund, Kunst

Aufregung um eine Ausstellung im Whitney Museum  ■ Von Andrea Böhm

Es kommt äußerst selten vor, daß im US-Kongreß über Kunst diskutiert wird. Wenn, dann streitet man sich in der Regel um die Frage, ob es sich bei dem, worüber man streitet, überhaupt um Kunst handelt. Oder um Schmutz. Oder um eine Verletzung von Anstand und Moral. Am Ende einigt man sich meist auf einen Kompromiß – nicht, was den Kunstbegriff angeht, sondern die Kürzung der staatlichen Mittel für die Künstler.

Dieses Mal galt die Aufmerksamkeit der Parlamentarier dem „Whitney Museum for American Art“, wo zur Zeit die Ausstellung „Abject Art“ zu sehen ist, zusammengestellt von Stipendiaten des „Whitney Museum Independent Studies Program“. „Abject“ bedeutet sowohl das Niedrige und Abstoßende als auch das Äußerste.

Die Ausstellung enthält neben anderem all das, was mit der Berechenbarkeit eines Pawlowschen Reflexes christlich-fundamentalistische Lobbygruppen in ihrem Kampf für amerikanische Werte auf den Plan ruft: Skulpturen von Exkrementen, Collagen aus Hausmüll, Installationen mit Eimern voller blutiger Tampons. Last not least, die Werke jener beiden Künstler, deren Namen in den 80er Jahren für die einen zum roten Tuch, für die anderen zum Synonym für den Kampf gegen Zensur geworden sind: die Fotografie „Piss Christ“ von Andres Serrano und Robert Mapplethorpes Selbstporträt, auf dem er sich eine Peitsche in den After steckt.

In New York war die Ausstellung kaum eröffnet, da erhielten Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses einen Brief vom „Christian Action Network“ (CAN). Nicht alle Abgeordneten, sondern nur die „Frischlinge“ – diejenigen, die gerade ihre erste Amtszeit begonnen haben und deshalb von Lobbygruppen, die mit dem Entzug von Wählergunst drohen, besonders leicht zu beeindrucken sind. In dem Brief erinnerte CAN-Präsident Martin Mawyer die Volksvertreter an den Wählerauftrag, der Verschwendungssucht des Staates den Garaus zu machen. Der erste Schritt in diesem Sinne, so Mawyer, wäre die Abschaffung der „National Endowment for the Arts“ (NEA): „Es gibt überhaupt keinen Grund für die Bundesregierung, Kunst finanziell zu unterstützen – schon gar nicht, wenn diese Kunst nicht die Werte und Kultur der Steuerzahler reflektiert, die am Ende die Rechnung bezahlen.“ Was ist so schlimm an der strittigen Ausstellung? Neben den Werken von Serrano und Mapplethorpe rieb sich Mawyer vor allem an einer neunzig Zentimeter hohen Skulptur aus „synthetischen Exkrementen“ sowie an einer „verstümmelten Skulptur zweier Frauen, die Oralsex betreiben“.

Die angegriffene NEA hatte in diesem Fall nun mit der Ausstellung im Whitney Museum so gut wie nichts zu tun – abgesehen von dem Umstand, daß sie dem „Independent Studies Program“ für das Haushaltsjahr 1993 20.000 Dollar zur Verfügung gestellt hat. In der hitzigen Debatte des Repräsentantenhauses spielte das kaum eine Rolle, weil man offenbar viel zu sehr beschäftigt war, sich die vom „Christian Action Network“ inkriminierten Kunstwerke vorzustellen. Wozu folgendes anzumerken wäre: Mit dem Exkrementeberg von neunzig Zentimeter Höhe, auf dessen Spitze noch das Dach eines Hauses zu sehen ist, ist offenbar die Skulptur von John Miller aus dem Jahre 1988 gemeint. Anklagepunkt Nummer zwei, die Skulptur der anstößig verschlungenen Frauen, ist schlicht eine Erfindung Mawyers. Es gibt sie nicht – zumindest nicht in dieser Ausstellung. Ergebnis des Plenums im Kongreß: der NEA wurde das Budget für das Haushaltsjahr 1994 um fünf Prozent von 174 Millionen Dollar auf 166 Millionen Dollar gekürzt.

Nun hat die NEA, 1965 vom US-Kongreß zwecks Förderung der Kunst gegründet, in den letzten Jahren einige Schläge gegen die künstlerische Freiheit und auf den Geldbeutel einstecken müssen. Das mag erklären, warum sie auf die jüngste Attacke mit weichem Rückgrat reagierte. Anstatt den Abgeordneten deutlich zu machen, daß die Definition von „korrekter Kunst“ ein ausgemacht gefährliches Unterfangen ist, betonte die Pressestelle der NEA, daß sie überhaupt nichts mit der umstrittenen Ausstellung zu tun habe und über die „harsche Vorgehensweise des Kongresses sehr betrübt“ sei. Man weiß, daß in Washington händeringend nach weiteren Budgetposten gesucht wird, bei denen der Rotstift angesetzt werden kann. Während Kongreßabgeordnete je nach Interessen ihres Wahlkreises wie die Terrier um den Erhalt von Subventionen für Rüstungsfirmen, Bienenzüchter oder Autohersteller kämpfen, ist der Einsatz für die staatliche Kunstförderung äußerst unpopulär.

Schon 1989 hatten erzkonservative Parlamentarier – noch ganz im Windschatten der Reagan-Bush- Administration und der christlichen Fundamentalisten – von der NEA finanzierte Ausstellungen der Werke Mapplethorpes und Serranos an den Pranger gestellt. Nun erreicht die Debatte im Fall des Whitney Museums insofern eine neue Qualität, als es in der Ausstellung „Abject Art“ nicht mehr um Mapplethorpe oder Serrano geht, sondern um den Diskurs über das „Niedrige“ oder „Äußerste“ in der Kunst. Dieser feine Unterschied ist allerdings für Martin Mawyer und sein CAN ohne Bedeutung. „Ziel der Ausstellung war es, die Öffentlichkeit anzuwidern – und ich war angewidert.“

Mawyer repräsentiert nicht die Öffentlichkeit. Das Whitney Museum verzeichnet den üblich regen Fluß an Besuchern, die sich weder von Marcel Duchamps „Fountain“ aus dem Jahre 1917 noch von Willem de Koonings „Frau und Fahrrad“ oder Robert Rauschenbergs Ölgemälden „Yoicks“ und „Satellite“ schockieren lassen. Auch das Skatologische – ob nun der bereits zitierte Exkrementeberg von John Miller oder Claes Oldenburgs „Plastic Toilet“, die Nachbildung eines Klos aus weißem Vinyl – wirkt im Rahmen der Retrospektive eher bieder.

Da klingt es dann schon fast nach angestrengtem Trotz, wenn im Katalogtext angekündigt wird: „Unser Ziel ist es, in der Institution obszön zu reden und deren Atmosphäre der Reinheit und Prüderie herabzuwürdigen, indem wir Themen der Geschlechter und der Sexualität in den Vordergrund stellen.“ Daß im gleichen Text die Attacken der christlichen Rechten gegen Mapplethorpe, Serrano und Robert Gober mit der Unterdrückung der Kunst während des Nationalsozialismus in Deutschland gleichgesetzt wird, ist allerdings eine Fehldeutung, die man nicht hätte durchgehen lassen dürfen.

„Ich bin für eine Kunst, die politisch-erotisch-mystisch ist. Eine Kunst, die etwas anderes macht, als auf ihrem Arsch in einem Museum zu sitzen“, hatte Claes Oldenburg 1962 geschrieben. Oldenburg mag sich selbst darüber wundern, daß seine Kunst nun, über dreißig Jahre später, für politischen Zündstoff sorgt. Zu einem Zeitpunkt, da sie nichts anderes macht, als mit ihrem Arsch im Museum zu sitzen. Aber letztendlich geht es natürlich um mehr als die Ortbestimmung seiner „Soft Toilet“. Es geht um die Frage, wer hier bestimmen kann, was Kultur, was amerikanische Kultur ist. Die NEA kann sich damit trösten, in diesem Konflikt nach monatelangem Warten nun wenigstens eine neue Direktorin zu bekommen: Jane Alexander, renommierte Theater- und Filmschauspielerin, die mit ihrer Prominenz der angeschlagenen Institution ein wenig Deckung verleihen kann. Es ist bekannt, daß sie es für höchst unamerikanisch hält, den Inhalt von Kunst zu kontrollieren oder Künstler zu gängeln. An der finanziellen Misere wird sie allerdings nichts ändern können. In den USA wird mehr Geld für Militärkapellen ausgegeben als für die Kunst.

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