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Schmuggler und GotteskriegerFreie Fahrt vor Indiens Küste

Der Marineschutz gleicht einem löchrigen Sieb. Behördenwirrwar, mangende Ausstattung, Korruption und Schlendrian verhindern wirksame Kontrollen entlang der Küstenlinie.

Sicherheitskräfte im Hafen von Bombay. Bild: dpa

BOMBAY taz Zufällig hat der indische TV-Sender CNN-IBN nur Wochen vor den Attentaten von Bombay überprüft, wie gut Indiens Küste überwacht wird. Drei Journalisten mieteten einen alten Fischkutter und steuerten viermal die Küste nördlich und südlich der indischen Wirtschaftsmetropole an. Sie führten fünf mit Füllmaterial gestopfte Kisten mit sich, gleich schwer wie RDX-Sprengstoff, und brachten sie jedes Mal ans Ufer. Einmal verluden sie die Kisten in ein Auto und brachten sie zum Gateway of India, dem Triumphbogen aus Kolonialzeiten und Symbol von Bombays Offenheit zu den Weltmeeren. Er liegt direkt neben dem Hotel Taj Mahal. Einmal bestiegen sie ungehindert eine Ölplattform des staatlichen Ölkonzerns ONGC.

Kein einziges Mal wurden sie von der Marine, der Küstenwache oder Zollbooten auch nur gesehen. Sie waren es, die einen Posten des Zolls aufsuchten. In einem verlotterten Gebäude erklärte ihnen der Polizeichef, er sei der einzige von einem Dutzend Beamten, der regelmäßig zum Dienst erschiene. Draußen lag ein Polizeiboot verrostet im Sand. Für gelegentliche Kontrollfahrten, für die er Tagelöhner anstellte, ließ er das konfiszierte Boot des Schmuggelkönigs Dawood Ibrahim auslaufen.

Dessen Name erscheint auf der Liste der 20 Personen, die Indiens Außenministerium am Montag dem pakistanischen Botschafter übergab, mit der Forderung um Auslieferung wegen des Verdachts der Beteiligung an den Attentaten vom 26. November. Ibrahim lebt seit 1993 im Ausland und seit 2001 in Karatschi, nachdem er und Bombays muslimische Schmuggelmafia im März 1993 schwere Bombenanschläge verübt hatten. Sie sollten antimuslimischen Pogrome rächen, die Hindu-Fanatiker zwei Monate zuvor verübt hatten. Das RDX war damals mit Schmuggelbooten an Land gebracht worden. Auch diesmal wird vermutet, dass Ibrahim seine Hand im Spiel hatte, als mindestens zehn Attentäter vergangene Woche Bombay überfielen.

Indien besitzt eine Küste von 7.500 Kilometern. Drei Sicherheitsringe sind gelegt: in den internationalen Gewässer patrouilliert die Marine; für die Zwölf-Meilen-Zone von Hoheitsgewässern ist die Küstenwache zuständig, für die Strandzonen die Marineabteilung der Lokalpolizei. Dazu kommen weitere 20 Behörden, darunter die Zollpolizei des Finanzministeriums, das Landwirtschaftsministerium für die Fischereiflotte, die Marinepolizei, die dem Innenministerium unterstellt ist, und die amphibische Umweltpolizei im Umweltministerium.

Dieses Durcheinander von Behörden mag dafür verantwortlich sein, dass Warnungen versickert sind. Der indische Auslandsgeheimdienst "Research & Analysis Wing" (RAW) gab zwischen dem 18. September und dem 26. November vier Warnungen an das Innenministerium in Bombay und die Küstenbehörden weiter. In abgehörten Telefongesprächen erwähnten sie Pläne der in Pakistan beheimateten Organisation Lashkar-e-Toiba, vom Meer aus einen Terroranschlag gegen Hotels in Bombay durchzuführen.

Eins der Probleme sind die mangelnde personelle Ausstattung und die Ausrüstung der Sicherheitsdienste zu Wasser. Die Marine hat eine Größe von 70.000 Mann, 130 Schiffen und rund 200 Flugkörpern. Laut dem ehemaligen Vizeadmiral Raja Menon ist das viel zu wenig für eine Streitmacht, von der erwartet wird, dass sie neben der eigenen Küste Schutzdienste von der Straße von Malakka bis zur somalischen Küste wahrnehmen soll. Auch die Küstenwache sei dreimal zu klein. Ein weiteres Problem sind laut Menon mangelnde rechtliche Vollmachten, um in internationalen Gewässern Boote zu kontrollieren und nötigenfalls zu konfiszieren. Schließlich gibt es keine klare Koordination und Befehlshierarchie von den verschiedenen Diensten.

Am fatalsten ist jedoch neben der Korruption der bürokratische Schlendrian, wie ihn die Journalisten von CNN-IBN erlebten. Zeitungen zitierten am Dienstag aus einem Bericht des staatlichen Rechnungsprüfers, wonach einer Reihe indischer Küstenstaaten von Delhi das Geld für neue Patrouillenboote zugesprochen wurde. Die meisten machten davon keinen oder nur teilweise Gebrauch. Vier Boote für Maharashtra wurden zwar gebaut, aber nicht eingesetzt, da Bombay nicht das Geld habe, sie zu unterhalten. Wie bei der Übermittlung vertraulicher Information sorgt das Kompetenzgerangel zwischen Delhi und den Provinzen dafür, dass Gelder und wertvolle Information verloren gehen.

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