Schmidt beim Kirchentag: Der Popstar erklärt Krise
Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt nennt Investmentbänker die "Übeltäter" der Rezession und erntet dafür Applaus. Seine privaten Klimatheorien sorgen für Entsetzen.
HAMBURG tazDie Ovationen erinnerten an einen Popstar: Spontan standen rund 6.000 Zuschauer auf, als Helmut Schmidt das Podium auf dem Bremer Kirchentag betrat. Der Alt-Bundeskanzler sollte mit Weltbankchef Robert Zoellick über die "Verantwortung in der globalen Krise" diskutieren.
Zunächst hielt die Begeisterung auch an. Applaus brandete auf, wenn Schmidt Investmentbanker als "Übeltäter" bezeichnete oder wenn er internationale Regeln für den Kapitalverkehr forderte. Dankbar wurden auch seine knappen Erläuterungen aufgenommen, woher die Zentralbanken jetzt die Mittel gegen die Krise nähmen: "Das Geld wird gedruckt." Da lachte das Publikum befreit, dass die komplizierte Finanzwelt so einfach sein kann. "Das ist kein Witz", setzte Schmidt genauso lakonisch nach. "Das ist die Wahrheit."
Doch je länger der Abend währte, desto erratischer fielen viele Bemerkungen des Alt-Kanzlers aus. Auf den Rängen wurde nur noch entsetzt gestöhnt, als er seine private Klimatheorie vortrug. "Ich habe schon in der Schule gelernt, dass es immer wieder Warmzeiten gab." Weltbankchef Zoellick sah sich gezwungen, dem Alt-Kanzler sehr höflich zu erläutern, dass diese eher abstrakte Betrachtung vielen armen Ländern nichts nutzt: "Sie werden jetzt durch den Klimawandel bedroht."
Auch mit den Beiträgen aus dem Publikum konnte Schmidt oft nichts anfangen. So wollten verschiedene Zuschauer wissen, ob die Wirtschaft auch ohne Wachstum auskommen könne. Die schnippische Antwort: Auf eine derartige Frage könnte nur "ein pensionierter Studienrat in seiner Studierstube" kommen.
Schmidts Missmut war für viele nur zu hören, nicht zu sehen. Wer weiter hinten in der riesigen Stadthalle saß, konnte in rund 150 Meter Entfernung nur noch seinen weißen Haarschopf erahnen. Kundige Kirchentagsbesucher hatten daher Fernstecher dabei - und meldeten Neuigkeiten von der Bühne. "Jetzt nimmt Schmidt eine Prise Schnupftabak", sagte etwa eine elegante Dame mit Opernglas, die ihren Star nie aus den Augen ließ.
Am Ende war die Halle deutlich geleert. Der Beifall zum Abschied fiel noch immer freundlich, aber nicht mehr überschwänglich aus. Zwei christliche Pfadfinderinnen, beide kurz vor dem Abitur, kommentierten knapp: "Gut, dass wir Schmidt noch mal erlebt haben."
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