Schmetterschlag auf Schlag

Ralph Bergmann hat bereits einen Schlaganfall und halbseitige Lähmung überstanden. Dass er mit den deutschen Volleyballern das EM-Halbfinale knapp verpasst hat, kann ihn da kaum erschüttern

Manchmal ist es schwer zu erkennen, dass man noch Glück hat im Unglück

aus Leipzig FRANK KETTERER

Die Dame vom Fernsehsender aus Mainz hatte sich ihr erstes Opfer längst schon ausgeblickt und so blieb Ralph Bergmann noch nicht einmal mehr Zeit, die Autogrammwünsche der Spalier stehenden Anhängerschaft zu erfüllen. Der Schweiß tropfte dem Mann vom Mittelblock jedenfalls noch aus dem schwarzen Haar, als ihm ein Stuhl hingeschoben wurde, auf dem er Platz nehmen sollte, um nicht ganz so riesig zu erscheinen neben der eher klein geratenen Dame, die ihm da das orangefarbene Mikrofon dienstbeflissen unter die Nase hob, damit er etwas in die Kamera sagen könne zur Lage des deutschen Volleyballs, jetzt, da die Vorrunde der EM im eigenen Land gerade zu Ende gegangen war und Deutschland sein letztes Spiel in Leipzig mit 0:3 verloren hatte gegen Italien. Ralph Bergmann musste nicht lange überlegen, um die dem Anlass angemessenen Worte zu finden, schließlich ist er kein Fußballer, sondern einer jener Spezies Sportler, die zu klugen Sätzen durchaus fähig sind. Nun fasste er das in den fünf Vorrundenspielen Erlebte so zusammen: „Wir sind absolut dabei.“

Dabei bei den besseren Teams des Kontinents, sollte das heißen, was statistisch belegt wird durch die bisherige EM-Bilanz von drei Siegen (gegen die Slowakei, Tschechien sowie Spanien) und nur zwei Niederlagen (Frankreich und Italien). Rang drei in der Vorrundengruppe II ergibt das – und somit die Teilnahme in den beiden noch ausstehenden Spielen heute (um 15 Uhr gegen Polen) und morgen um die Ränge fünf bis acht in Berlin. Das Abenteuer EM ist für die deutschen Schmettermänner also noch nicht ganz zu Ende. Dass es am Sonntagabend als gelungen abgeheftet werden kann, steht indes jetzt schon außer Frage. Ralph Bergmann sagt: „Platz fünf bis acht, das ist nicht schlecht. Vor der EM konnte man damit nicht unbedingt rechnen.“

Es lohnt durchaus, sich mit dem 2,06-m-Hünen über Volleyball zu unterhalten. Zum einen ist der 33-Jährige zusammen mit Mannschaftskapitän Wolfgang Kuck der dienstälteste deutsche Nationalspieler, zum anderen spielt er seit fünf Jahren schon dort, wo sich Bundestrainer Stelian Moculescu auch die jüngeren Nationalspieler zwecks Weiterbildung hinwünscht: im Ausland. „Das muss einfach sein“, findet Bergmann, weil es in den meisten ausländischen Ligen professioneller zugehe als in der Bundesliga und man sich dementsprechend besser und schneller weiterentwickeln könne – „als Mensch wie als Spieler.“ Aufstrebenden Jungkräften wie Christian Pampel, dem Shooting-Star im deutschen EM-Team, oder Eugen Bakumovski kann er deshalb nur anraten, es ihm gleichzutun.

Bergmann weiß, wovon er spricht. Auch er war einmal ein bisschen das, was Pampel jetzt ist – „einer der aufstrebenden deutschen Spieler“, wie er selbst sagt. Sogar italienische Klubs hatten die Fühler nach ihm ausgestreckt. 22 war Bergmann da und mit Moers gerade deutscher Meister geworden. Dann, am 9. Dezember 1992 – und dieses Datum wird Ralph Bergmann nie in seinem Leben vergessen –, traf ihn morgens im Bad der Schlag. „Ich bin einfach umgekippt“, erinnert er sich, „und die ganze rechte Seite war weg.“ Weg! Gelähmt! Ein Schlaganfall mit 22 – als Leistungssportler! Gut eine halbe Stunde dauerte die Lähmung an, woher sie genau rührte, haben die Ärzte nie herausgefunden, noch heute, elf Jahre danach, hat Bergmann „mal mehr, mal weniger“ ein Taubheitsgefühl unter dem rechten Arm.

Zurückgekommen auf das Feld mit dem hohen Netz ist der 33-Jährige dennoch, er liebt das Spiel. „Es stand nie außer Frage, dass ich wieder Volleyball spielen würde“, sagt er – jedenfalls nicht für ihn, bestenfalls für die Ärzte. Bergmann behielt Recht: Vier Monate später blockte er schon wieder Bälle für Moers, kurzzeitig mit dem Schicksal gehadert hat er dennoch. „Davor war ich sehr, sehr gut, danach nur noch gut. Ich habe Jahre gebraucht, um wieder dorthin zu kommen, wo ich war“, sagt er. Als junger Mensch ist es manchmal schwer zu erkennen, dass man noch Glück hat in all seinem Unglück. Heute sagt Ralph Bergmann: „Ich freue mich, dass ich da bin, wo ich bin.“

Bei der EM, seiner fünften insgesamt, ist der 33-Jährige einer der Besten im Mittelblock, sogar die Statistiker haben das festgestellt. Aber das ist nur der eine Punkt, warum Ralph Bergmann einer der auffälligsten deutschen Spieler ist bei diesem Championat. Den anderen beschreibt Bundestrainer Stelian Moculescu, wenn er sagt: „Ralph spielt mit sehr viel Seele. Er ist eine Führungsperson.“ Und Ralph gibt das Lob gerne zurück und sagt über Moculescu: „Er ist immer mit Herz dabei und erkennt jeden Fehler. Es macht einfach sehr viel Spaß, unter ihm in der Nationalmannschaft zu spielen.“

Spaß zu haben ist Ralph Bergmann sehr wichtig geworden im Leben, das er genießen will, „weil ich weiß, wie verdammt schnell es Aus sein kann.“ Heute spielt die deutsche Mannschaft ihr erstes Platzierungsspiel in Berlin, gegen Polen. „Da“, sagt Ralph Bergmann, „können wir nochmal etwas bewegen.“ Der Spaß bei dieser EM, so hofft er, soll für die deutsche Mannschaft noch nicht zu Ende sein.