: Schmerzfrei geigen
■ Wenn der Tennisarm die 1. Geige spielt: Neue Hilfen für berufskranke Musiker
Was passiert, wenn sich dem Geiger mitten im schönsten Violinkonzert die Finger verkrampfen? Oder der Pianist bei gleichem Leiden unter den Augen und Ohren der Konzertbesucher in die falschen Tasten greift? Seit Oktober können betroffene Musiker die Hilfe des „Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin“ in Hannover in Anspruch nehmen. Der Neurologe Eckart Altenmüller hat das bereits 1974 eingerichtete Institut, das der Hochschule für Musik und Theater angegliedert ist, im Oktober übernommen. Im Unterschied zu seinem Vorgänger kann Altenmüller als niedergelassener Arzt nicht nur beraten, sondern behandeln. Damit sei die Einrichtung Vorreiter in Deutschland. „Das Erkennen und Behandeln von musikerspezifischen Krankheiten ist ungeheuer wichtig“, sagt Altenmüller. „Wenn Beschwerden nicht rechtzeitig behandelt werden, kann das ganze Karrieren zerstören.“
Schulter- und Nackenverspannungen, Krämpfe und Lampenfieber sind die häufigsten Leiden der Musiker, erzählt der Musikmediziner. Zu den Behandlungsmethoden zähle neben Medikamenten vor allem Physiotherapie. Verhaltenstherapie und Hypnose würden die besten Heilungsergebnisse erzielen. Die Behandlungskosten trügen die Krankenkassen.
„Ein großes Problem ist das Tabuisieren von Schmerzen der Musiker“, berichtet Maria Schuppert, Ärztin im Team des Instituts und Hobbymusikerin. Musik werde als Kunst verstanden, in der Schmerz nichts zu suchen hat. „Unter den Musikern ist es verpönt, über eigene Beschwerden zu sprechen. Und aus Angst vor der übergroßen Konkurrenz wird das Thema erst recht verschwiegen.“ Etwa 60 Studenten und Berufsmusiker aus ganz Deutschland seien im letzten Quartal mit akuten Beschwerden ins Institut gekommen.
Die Dringlichkeit des Problems belegt eine aus dem Jahre 1988 stammende US-Studie der International Conference of Symphony and Opera Musicians (ICSOM), sagt Altenmüller. Von über 2 000 untersuchten Berufsmusikern litten 76 Prozent zeitweise unter Beschwerden, zehn bis 15 Prozent seien frühzeitig berufsunfähig geworden.
Die 20jährige Scarlett Brückner gehört zu den ersten Patienten des Instituts. Seit zwei Jahren studiert sie an der Musikhochschule Hannover Gitarre, das Instrument spielt sie bereits seit dem elften Lebensjahr. Als im Juli die ersten akuten Schmerzen im linken Unterarm auftraten, ging sie zum Allgemeinmediziner. „Mein Arm sollte eingegipst werden“, berichtet sie. „Wie sollte ich dann üben? Die Ärzte haben kein Verständnis für Musiker.“
Im Oktober ging sie zu Altenmüller, der ihr eine Bewegungstherapie verschrieb. „Ich habe gelernt, die Gitarre beim Üben anders zu halten und vor allem entspannter zu sitzen“, erzählt die Musikerin. „Die akuten Schmerzen haben nachgelassen. Ich kann schon wieder schmerzfrei eine Flasche öffnen.“ Und Krämpfe mit fatalen musikalischen Folgen werden auch immer unwahrscheinlicher. lni
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