Schmelze in der Arktis: China verschmutzt Grönlandeis
Kohlenstoffpartikel aus chinesischen Schornsteinen legen einen Grauschleier über das arktische Eis. Das reflektiert das Sonnenlicht nicht mehr und schmilzt somit noch schneller.
STOCKHOLM taz In diesem Sommer hat sich zwei- bis dreimal so viel Inlandeis auf Grönland in Wasser verwandelt als noch vor drei Jahren. Und das liegt nicht nur an der globalen Erwärmung. Auch die direkte Verschmutzung mit Kohlenstoffpartikeln, die sich als dünne Schicht über das Gletschereis legen, sorgt für die Schmelze. ForscherInnen schätzen jetzt, dass dieser Grauschleier allein die Hälfte der Abschmelzung verursacht. Und für einen grossen Teil sind die Kohlekraftwerke in China verantwortlich.
Kleine Konzentrationen mit grossen Auswirkungen. So beschreibt der Gletscherforscher Carl Egede Bøggild am norwegischen Universitätszentrum UNIS auf der Insel Spitzbergen die Wirkung von Kohlenstoffpartikeln aus Kraftwerken, Dieselmotoren und Fabrikschornsteinen.
"Der Kohlenstoff hat in extrem kleinen Konzentrationen Auswirkung auf das Sonnenlicht. Das ist ein ganz starker Mechanismus, der regelrecht Energie aufsaugt." Denn eine weisse Gletscheroberfläche reflektiert das Sonnenlicht, während bereits ein leichter Grauton dieses absorbiert und das durch die Erwärmung bereits in Gang befindliche Abschmelzen des Eises verstärkt. "Und wenn das Eis dann schmilzt, konzentriert sich dieser Kohlenstoff noch zusätzlich im Eis", beschreibt Bøggild diesen sich selbst verstärkenden Effekt: "Das wird damit noch dunkler wird und beschleunigt dadurch die weitere Abschmelzung zusätzlich"
Dieser "schwarze Fingerabdruck" auf dem Grönlandeis sei keine neue Entwicklung. Er wurde schon vor Jahrzehnten beobachtet, doch hatte er damals nicht die dramatischen Folgen wie jetzt im Zusammenhang mit der Erwärmung der Atmosphäre. Ausserdem ging diese Kohlenstoffbelastung aufgrund des Einsatzes neuer Reinigungstechnik in den Ländern der westlichen Welt ständig zurück. Seit zehn Jahren sei aber eine Umkehrung der Entwicklung festzustellen, sagt der Forscher. Und deren Quelle seien vor allem die Industrie und Stromerzeugung der wachsenden Wirtschaften Chinas, Indiens und Vietnams. Neue Berechnungen machen allein die chinesische Kohlekraft für 20 Prozent der Kohlenstoffbelastung des grönländischen Inlandeises verantwortlich.
"Historisch gesehen gab es niemals eine so kräftige Expansion von Kohlekraftwerken wie derzeit in China", bekräftigt Ole Odgaard von der staatlichen dänischen Energiebehörde Energistyrelsen: "Und das hat natürlich Verunreinigungsprobleme für den gesamten Globus zur Folge."
Die Nettoschmelze des grönländischen Inlandeises wird derzeit aufgrund der Auswertung von Satellitendaten auf jährlich 150 bis 250 Kubikkilometer geschätzt. Damit verwandelt sich dort jedes Jahr mehr als das gesamte noch vorhandene Gletschereis der Alpen - etwa 130 Kubikkilometer - endgültig in Wasser. Es gibt Berechnungen, wonach ein Schmelzen des gesamten auf drei Millionen Kubikkilometer geschätzten grönländischen Inlandeises ein Ansteigen des weltweiten Meeresspiegels um 6 bis 7 Meter zur Folge haben würde.
Reduktion des CO2-Ausstosses sei gut und schön, meint Ole John Nielsen, Professor für atmosphärische Chemie an der Universität Kopenhagen deshalb: "Aber will man schnelle Erfolge gegen den dramatisch gestiegenen Schmelzprozess haben, bedarf es eines anderen Ansatzes." Eine effektive Reinigungstechnik bei den ostasiatischen Kohlekraftwerken könne deren Ausstoss von Kohlenstaubpartikeln um 90 Prozent verringern und damit sehr wirksam etwas gegen deren Grauschleier-Folgen tun. Henrik Skov, Forscher für atmosphärische Chemie am dänischen Umweltinstitut "Danmarks Miljøundersøgelser" stimmt zu und weist darauf hin, dass diese Frage nicht nur für das Grönlandeis relevant ist: "Wenn wir die Partikelbelastung der Arktis reduzieren könnten, wäre dies vermutlich die am schnellsten greifende Methode, um die Arktisschmelze insgesamt zu verlangsamen."
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