: Schlußstrich unter Polens Geschichte
■ Staats- und Parteichef Jaruzelski will alle seit 1980 verhängten Urteile gegen Oppositionelle aufheben / Ministerpräsident Rakowski warnt vor allzu großer Hoffnung auf den Westen
Berlin (afp/dpa/taz) - Alle seit der Verhängung des Kriegsrechts 1980 gefällten Urteile gegen Oppositionelle sollen aufgehoben werden. Dies erklärte kein Geringerer als der polnische Staats- und Parteichef Wojciech Jaruzelski, der mit seinem Putsch die Verhaftungswelle damals überhaupt in Gang gesetzt hatte.
Doch heute tritt Jaruzelski für einen definitiven Schlußstrich unter diese Vergangenheit ein. In seiner Rede zur Eröffnung einer zweitägigen nationalen Konferenz der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau forderte Jaruzelski die Partei auf, dem Parlament ein weitreichendes Amnestiegesetz vorzulegen. Dadurch würden Hunderte von Anhängern und Führungsmitgliedern der nach vielen Jahren Untergrundtätigkeit wiederzugelassenen Gewerkschaft Solidarnosc auch juristisch rehabilitiert. Ein solcher Vorstoß sei nützlich, erklärte Jaruzelski vor den 1.700 Delegierten, um die Politik der nationalen Verständigung zu stärken und die „Zeit der Abrechnung definitiv zu beenden“.
Ministerpräsident Rakowski hat am Freitag dagegen seinen Landsleuten ein düsteres Bild von der Wirtschaft seines Landes gezeichnet und vor übertriebenen Hoffnungen nach der politischen Öffnung des Systems gewarnt. Denn trotz des demokratischen Prozesses in Polen zögerte der Westen mit konkreten Wirtschaftshilfen für das durch Verschuldung gebeutelte Land. Auch das Programm der Bush-Administration mache bei weitem nicht die 15 Milliarden Dollar Verluste wett, die Polen durch die Restriktionen erlitten habe. Wie ein Refrain komme bei allen Verhandlungen mit westlichen Partnern immer die Meinung wieder, Polen müsse selbst einen Ausweg aus der Krise finden. In Bonn wies indes am Freitag Bundesaußenminister Genscher daraufhin, daß die Bundesregierung ein großes Interesse an einer raschen Entscheidung über die Rückzahlungsmodalitäten bisheriger Kredite und die anderen Finanzwünsche Warschaus habe.
er
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen