Schlupflöcher für Unternehmen geöffnet: Steuergeschenke gegen die Krise
Die große Koalition öffnet Steuerschlupflöcher, die sie erst 2007 geschlossen hat. Besonders mittlere und kleine Firmen profitieren, der Staatshaushalt wird belastet.
Die Wirtschaftskrise macht es möglich. Union und SPD öffnen Steuerschlupflöcher für Unternehmen, die sie erst vor zwei Jahren geschlossen haben. In den Verhandlungen der Regierungskoalition zeichnet sich ab, dass die sogenannte Zinsschranke aufgeweicht wird. Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2007 hatten sich Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und auch linke SPD-Abgeordnete für diese Regelung starkgemacht, damit Unternehmen ihre Gewinne nicht ins Ausland überweisen, ohne hierzulande Steuern zu zahlen.
Gerne benutzen Firmen ein Modell, um ihre Steuerlast in Deutschland zu drücken. Beispielsweise überweist eine ausländische Tochterfirma ihren Gewinn an das deutsche Mutterhaus, deklariert ihn aber als Kredit. Die darauf anfallenden unternehmensinternen Zinsen, die die Mutter an die Tochter zahlt, kann jene von der Steuer abziehen. Aus Einnahmen werden so Ausgaben - eine lukrative Idee, die den Staat früher jährlich hunderte Millionen Euro gekostet hat. Als Ausgleich für die Senkung der Steuersätze für Unternehmen hatte die Koalition die Abzugsfähigkeit solcher Zinsen 2008 stark eingeschränkt. Nun soll die Freigrenze, unterhalb derer die Zinsen in vollem Umfang von der Steuer abgesetzt werden können, von 1 auf 3 Millionen Euro angehoben werden. Dieser zunächst auf zwei Jahre befristete Vorteil käme in erster Linie mittleren Unternehmen zugute. Darüber freut sich besonders Hans Heinrich Driftmann. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) setzte sich in dieser Frage ein Jahr lang für die Unternehmen ein.
Auch ein anderer Wirtschaftsverband kann zufrieden sein. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) verlangt seit langem, dass kleine Betriebe Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer erhalten. Diese Änderung will die große Koalition nun ebenfalls beschließen. Heute gilt grundsätzlich die folgende Regelung: Schreibt ein Unternehmen eine Rechnung, muss es die Umsatzsteuer sofort bezahlen, auch wenn der Kunde den Betrag erst in einigen Monaten überweist. Ausnahmen gab es bislang nur für kleine Unternehmen mit einem Umsatz bis 250.000 Euro pro Jahr im Westen und 500.000 Euro im Osten. Diese brauchten die Umsatzsteuer erst an das Finanzamt zu zahlen, wenn ihre Rechnung bezahlt wurde. Künftig sollen alle Unternehmen bis 500.000 Euro Jahresumsatz ihre Umsatzsteuer nachträglich entrichten dürfen.
Und auch die Versicherungswirtschaft soll nicht leer ausgehen. Die Koalition verhandelt darüber, dass die Verbraucher ihre Kosten für Haftpflicht-, Unfall- und andere Policen besser von der Steuer absetzen können.
Insgesamt werden die Steuerentlastungen rund 3 Milliarden Euro jährlich kosten. Wenn das Bundeskabinett am Mittwoch zum zweiten Mal einen Nachtragshaushalt für 2009 verabschiedet, steigt die Neuverschuldung auf 47,6 Milliarden Euro. Sie liegt damit knapp 11 Milliarden über dem ersten Nachtragshaushalt. Für 2010 erwartet das Bundesfinanzministerium einen noch höheren Fehlbetrag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind