: Schlumpfkirche ist fertig
■ Michael-Kirche der Christengemeinschaft am Remberti-Kreisel feierlich eröffnet
Fast alle sind hier schon mal mit dem Rad vorbeigekommen: an der Baustelle beim Rembertikreisel. In zwei Jahren ist dort auf einem verschlammten Parkplatz ein massiger Bau in die Höhe gewachsen, an dem von Anfang an eines auffiel: die Asymmetrie. Die Fenster schräg, das Dach vielfältig geschwungen. Die einen unk ten prompt: „Das sind wieder diese Anthroposophen mit ihren vegetarischen Schwüngen“. Die anderen frotzelten: „Brotteig-Architektur“ oder „Schlumpfhausen“.
Doch alle bewunderten den Mut, einen Kirchenneubau zu wagen. Mehr als zehn Jahre haben die 800 Bremer Mitglieder der Christengemeinschaft auf eine Kirche gespart. Durch Spenden und den Verkauf des Gemeindehauses am Dobben kamen fast die 5,3 Millionen Baukosten zusammen. Am Freitag nun öffnete die Michael-Kirche zum ersten Mal ihre Holztüren.
Mit rotem Kopf kniete noch zehn Minuten vor der Öffnung der Pflasterer Schäfer im nassen Sand und zerteilte mit kreischender Säge die Backsteine. Die ersten BesucherInnen schwankten über eine Planke in die Kirche. Innen aber große Ruhe – die Altarwand zum Rembertikreisel hin ist fensterlos und hält so den Verkehrslärm fern. Hier sollen nur Kerzen Licht spenden.
Auffallend vor allem: Lila allüberall. Zartlila die Wände, dunkellila die Altarwand, rotlila die Bezüge der 160 Stühle. „Lila regt die natürliche Frömmigkeit, die Hingabefähigkeit der Menschen an und bringt sie gleichzeitig zum Ausdruck“, erklärt Herbert Klose, einer der beiden Pfarrer. Lila, die Farbe zwischen dem feurigen Rot und dem kühlen Blau, das sei fast so was wie eine zur Ruhe gekommene Seele. Auffällig auch die gedrungene Gestalt des Innenraumes, die Decke rundet sich schützend, spielt keine Höhe vor.
Wie in vielen modernen Kirchen markieren die Fenster eine Art Weg der Gläubigen: Hier werden sie zum Altar hin immer größer. Holznasen an den Fenstern sorgen für eine breite Streuung des Lichts, Sonnenflecke entstehen so nicht. Ziehen alte Kirchenbauten den Blick nach oben, drückt die breite Wölbung der Michael-Kirche die Gläubigen eher auf die Erde. Als einen Walfischbauch könnte man den Innenraum etwas despektierlich beschreiben – wie dicke Adern verzweigen sich an den Seiten halbe Säulen, die Decke hebt sich in dicken Wellen.
Vor dem Altarblock aus norwegischem Granit wird der Pfarrer jeden Sonntag um 10 Uhr zum Abendmahl bitten. Denn so „erneuert“ die 1922 in Deutschland gegründete Christengemeinschaft auch ist, an einigen Ritualen der beiden traditionellen Kirchen hält sie durchaus, wenn auch in abgeänderter Form, fest: es gibt Sakramente wie Taufe, Konfirmation, (freiwillige) Beichte, Trauung, Priesterweihe und Letzte Ölung. Und wie in der Evangelischen Kirche haben die PfarrerInnen Lehrfreiheit, sie predigen also in eigener Verantwortung.
Auf ein kirchliches Attribut allerdings verzichtet die Michael-Kirche: auf einen Turm mit Glocke. Die Gemeindemitglieder wohnen zu verstreut. „Wir vertrauen auf die innere Glocke“, sagt Pfarrer Christward Kröner. Und die innere Glocke ruft offenbar immer mehr Menschen – während die Bremische Evangelische Kirche über Mitgliederschwund klagt, vergrößert sich die Schar der Christengemeinschaft stetig. Wobei sich übrigens die Hälfte der Mitglieder nicht zu den AnthroposophInnen zählt.
Geld zahlen auch die Mitglieder der Christengemeinschaft, allerdings freiwillig. Pfarrer Kröner ist zuversichtlich, daß die restlichen 867.000 Mark für den Bau noch zusammenkommen. Solange gibt es im Kirchenraum eben nur den blanken Estrichboden. Und solange haben die Fenster weißes Glas. Über die Ablösesumme von 192.000 Mark für 16 Parkplätze seufzt die Gemeinde deshalb besonders.
Während die Christengemeinschaft die Groschen zusammenkratzt, freut sich die Stadt über ein neues markantes Bauwerk, das zudem zwischen die kleinen Bremer Häuser paßt. So wie sich die Bremer Häuser aneinanderlehnen, lehnen auch die Gemeinderäume als hüttenartige Bauten an der Kirche. Die Verklinkerung der gesamten Kirche mußte das Stadtplanungsamt der Christengemeinschaft allerdings erst noch ausreden. Nun prangt die Kirche in hellem Apricot. Außerdem wünschte sich die Stadt ein Dach aus Kupfer oder Schiefer. Die Kirchengemeinde entschied sich für Kupfer – Schiefer wäre noch teurer gekommen.
„Der Mut zum Kirchenneubau hat sich gelohnt“, findet Horst Rosengart, Architekt der Lloydpassage und der Wohnungen über der Theatergarage. „Das ist zwar nicht mein Ding als Architekt, aber für die Stadt ist es doch ein Merkmal geworden – auch wenn es eigentlich keine Stadtarchitektur ist, sondern besser in einen Pinienhain gepaßt hätte.“ Aber immerhin, trotz des schwierigen dreieckigen und engen Grundstücks kommen FußgängerInnen gut drumherum, ohne sich optisch an dem Koloß zu stoßen. „Sehr gelungen“, befindet auch Gottfried Zantke von der Baubehörde. Allerdings – ein bißchen wuchtig sei der Bau denn doch. Der Turm fehle eben. „Und man kriegt nirgends Abstand, um die Fassadengliederung zu erkennen.“
Licht, Licht, Licht muß in einer Kirche sein, findet Thomas Klumpp, Architekt des Kongreßzentrums. Seiner „Kindheitsvorstellung“ nach muß eine Kirche hoch und schlank sein. Er würde sie auf jeden Fall durchsichtiger machen. Diese Kirche sei doch ein wenig drohend. Mehr Festlichkeit wünschte sich auch einer der ersten BesucherInnen am Freitag, ein 36jähriger Anwohner: „Ich brauch' Figuren und Licht, und Schiffe müssen drin hängen.“ Und außen müßte man die Kirche ganz schnell einranken.
Drei minus – diese Note würde Thomas Klumpp dem Berliner Architektenkollegen Jens Ebert geben für die Michael-Kirche. Er selbst sei bislang jedoch auch noch nie über Zwei minus hinausgekommen. Sicher, die ArchitektInnen der 50er und 60er Jahre hätten wenig interessante Kirchen gebaut, weil funktional konstruiert und nicht aus religiösem Erleben heraus – „aber man hätte aus dieser Kirche doch viel mehr machen können.“
Christine Holch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen