piwik no script img

Schlitzohren und Pechvögel

■ Hertha BSC - FC St. Pauli 1:2 / Verpatztes Bundesliga-Comeback der Berliner trotz guter Leistung

Berlin (taz) - Pardauz, da lag sie auf der Nase. Recht schick herausgeputzt hatte sie sich schon, die alte Dame Hertha BSC, doch stolperte sie beim ersten Auftritt nach sieben Jahren auf der Bundesliga-Bühne noch über ihre eigenen Beine. Und doch ist die Premiere gelungen. Denn schließlich trafen mit den Berlinern und dem FC St. Pauli gleich im ersten Spiel zwei Vereine aufeinander, deren Unterschiede kaum größer sein könnten, was aufregende und spannende Fußballunterhaltung versprach.

Zum einen die alte Skandalnudel Hertha, der aufstrebende Renommierclub aus der Metropole, mit riesigem Einzugsgebiet, der größten Betonschüssel der Liga, Möglichkeiten, viel Geld zu scheffeln, aber auch Fans, die zu den aggressivsten gehören. Ganz anders der kleine Stadtteilverein aus St. Pauli, mit der liebenswerten Bolzplatzatmosphäre im kleinen Kochstadion, den anhänglichsten und friedlichsten Zuschauern, aber auch einer fast hoffnungslosen Verschuldung.

Anreize genug für fast 35.000 Menschen,, sich erst in überfüllten U-Bahnen und auf verstopften Straßen ins Stadion zu quälen, um dort anschließend knapp zwei Stunden im Nieselregen auszuharren. Der vor lauter Aufregung wohl kaum jemand gestört hat, denn beide Mannschaften präsentierten fast alle Abwechslung, die dieses Spiel zu bieten hat.

Dabei genügten den St. Paulianern ganze vier Minuten und ein wenig Pfiffigkeit, dem Aufsteiger nicht nur die erste Heimniederlage seit fast eineinhalb Jahren aufzudrücken, sondern selbst endlich einmal das erste Saisonspiel zu gewinnen. Turbulenzen erzeugten die Hamburger, als sie in den Anfangsminuten wie wild das Hertha-Tor bestürmten, wohlweislich die Zappeligkeit der Berliner Abwehr ausnutzend, die mehr über ihre Nervosität nachdachte, als sich um Golke und Knoflicek zu kümmern. Diese brenzligen Zustände beendeten die Hertha-Kollegen in Mittelfeld und Angriff aber recht schnell, denn durch ihre fixen, quirligen Kombinationen wurde das Spiel schließlich fast nur auf den Bereich vor Thomfordes Tor beschränkt.

Nur, alle Trickserei, die schönsten Doppelpässe zwischen Rahn und Patzke oder Kruses Slalomläufe halfen nicht, die alte Hertha-Macke abzulegen, zehn Chancen für eine Tor zu brauchen. Welches dann nach einer halben Stunde Neuzugang Uwe Rahn erzielen durfte. Kruse hatte boshafterweise Trulsen den Ball wieder durch die Beine geschoben, letzterer ersteren dafür zur Seite, Holzer erdrängelte sich den Ball und legte vor zum unhaltbaren Zweimeterkick des mit 1,7 Millionen Mark teuersten Hertha-Einkaufs aller Zeiten.

Es begann die Zeit der Schlitzohren und der Pechvögel, wobei die Lausbuben allesamt St. Paulianer, die Gelackmeierten Berliner waren. Nachdem Patzke nur den Pfosten getroffen hatte, gelang der erste Streich Torwart Thomforde, der sich so geschickt mit dem heranstürmenden Greiser verhakte, daß dieser recht ungeschickt fiel, was Schiedsrichter Föckler nicht elfmeterwürdig erschien. Der zweite Streich mißriet Ottens, als er eine Vorlage mit der Hand unterstützte und somit Golkes Ausgleich nicht zählte.

Ganz raffiniert ging es gleich nach der Pause los. Ivo Knoflicek hatte sich bis dahin so gut versteckt, daß Gegenspieler Halvorsen ihn in der Halbzeit wohl vergessen hatte. Jedenfalls flitzte der CSFR-Nationalstürmer unbehelligt los und erzielte den Ausgleich. Die Krone der Pfiffigkeit verdiente sich gleich darauf Libero Kocian. Der gab seinem Gegenüber Greiser ein derart geniales Schubserchen, daß dessen Rückpaß zur Traumvorlage für Kocian und letztendlich zum 2:1 geriet.

Diese überraschenden Ereignisse verkrafteten die Herthaner nicht. Völlig konfus bolzten sie den Rest des Spieles herum, fassungslos, nach Führung und sicherer Beherrschung des Spieles so hereingelegt worden zu sein. Nach anfänglich guter Stimmung auf den Tribünen begannen die Fans beider Mannschaften nun, sich verbal zu attackieren. Während einige Hertha-Frösche mit „Sieg Heil„-, „Linke raus„- oder „Arbeitslose„-Rufen die St.-Pauli-Fans beschimpften, konterten diese mit dem Beschwören der internationalen Solidarität oder Antifa-Parolen.

Daß den Hertha-Spielern ihre Paddeligkeit verziehen wurde es gab am Schluß keine Pfiffe - lag an ihrem sichtbaren Willen, es gut zu machen. Und St. Paulis Trainer Helmut Schulte tröstete den Kollegen Werner Fuchs damit, daß auch St. Pauli das erste Bundesligaspiel nach dem Aufstieg zu Hause trotz guter Leistung verloren hatte.

Schmiernik

HERTHA: Junghans - Greiser - Jakobs, Halvorsen (71. Kretschmer) - Holzer, Schlegel, Patzke, Gries, Gowitzke Rahn, Kruse (82. Farrington)

ST. PAULI:: Thomforde - Kocian - Trulsen, Schlindwein Olck, Dahms, Dammann, Gronau, Ottens - Golke, Knoflicek

Tore: 1:0 Rahn (29.), 1:1 Knoflicek (46.), 1:2 Kocian (50.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen