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Schlimm ist das „Nicht schön sein“

■ Eine schmerzlich sichtbare Krankheit: Schuppenflechte

Es fing alles mit einem kleinen Fleck an. Erbsengroß und rot. Die Hautärztin sah mich nur mitleidig an und sagte: „Schuppenflechte. Da können Sie nichts machen. Das ist erblich und geht auch nicht mehr weg. Ich gebe Ihnen mal 'ne Salbe.“ Meine Schwester hatte Psoriasis, seit sie ein Baby war. Ist da Cortison drin? Die Ärztin rollte mit den Augen – schon wieder so eine Fanatikerin – und verschrieb mir eine Fettcreme.

Ein halbes Jahr später ging ich nach Guatemala für ein Studienjahr. Die Psoriasis hatte sich inzwischen auf Ellenbogen und Knie ausgebreitet. Kein schöner Anblick, aber bei PassantInnen ging das noch als trockene Haut durch. Meine FreundInnen wußten Bescheid. Den unverkrampften Umgang damit hatte ich ja bei meiner Schwester 18 Jahre lang beobachten können. Wer fragt, bekommt eine kurze, klare Antwort: Erblich, nicht ansteckend, bleibt bis auf Ausnahmen (die ich bis jetzt noch nicht kenne) bis ans Lebensende. Mit dieser Antwort gab es am wenigsten entsetzte Reaktionen oder Mitleidsbekundungen.

Das Jahr stand ich gut durch. Mini war in Guatemala-Stadt sowieso nicht angesagt, und an den Strand ging ich mit FreundInnen, mit Menschen, die mich ganz normal behandelten. Für andere Menschen waren dann die roten Flecken anscheinend kaum sichtbar. Oder ich spürte ihre Blicke nicht. Zumindest fühlte ich mich sicher. Nach ein paar Tagen Sonne und Salz verschwinden kleinere Flecken, große werden kleiner und blasser, die Haut wird glatt. Dann fühlte ich mich wieder schön.

Das „Nicht schön sein“ ist an der Krankheit das Schlimmste. Mit zwanzig traute ich mich endlich, Miniröcke anzuziehen, vorher hielt ich meine Beine für krumm und dick. Ich fühlte mich auf einmal schön und sexy. Mein Freund malte mich als Akt und machte Fotos von mir. Drei Jahre später war ich nicht mehr „schön“. Die Aktfotos konnte ich auch erst wieder ansehen, als ich zwei, drei Jahre mit der Krankheit gelebt hatte. Es gibt auch noch jetzt keine Fotos von mir, auf denen die Schuppenflechte sichtbar ist. Ich möchte sie nicht dokumentieren.

Das Wichtigste ist die Verkleidung. Ich kann mich sexy anziehen und die Illusion erzeugen, darunter verberge sich ein schöner Körper. Um anderen meine Krankheit zeigen zu können, muß ich stark sein. Das entscheidet sich am Morgen beim Anziehen. Heute mal kurzärmelig, denke ich vielleicht – und dann muß ich den ganzen Tag neuen KollegInnen in der Arbeit erklären, was Schuppenflechte ist.

Ich bin eitel. Ich rasiere meine Beine. Und wenn die Flecken im Sommer kleiner werden, manchmal für ein paar Wochen vielleicht sogar fast weggehen, dann laufe ich mit Minirock oder kurzer Hose herum. Und fühle mich schön.

Was ich ganz schwer ertrage, sind LeidensgenossInnen – außer meiner Schwester. Wir machen immer Insider-Witze: „Kratzen ist schöner als ein Orgasmus.“ Kuren sind schrecklich. Beim Essen, im Gemeinschaftsraum, im Salzbad, im Warteraum vor dem Arztzimmer: Überall reden die Menschen von ihrem Schicksal und von ihrem Kampf gegen ihre Krankheit. Sie lieben es zu leiden, jeder will zeigen, daß er noch mehr leidet als die anderen. Endlich können sie einmal sprechen. Im Alltag trauen sie es sich nicht.

Vielleicht habe ich auch nur Glück, daß es mich nicht am ganzen Körper erwischt hat, daß es mich nicht immer stört. Nur im Winter, wenn es juckt, weil keine Sonne mehr an die Haut kommt und die Schuppen sich in rasender Geschwindigkeit vermehren. Dann fange ich an zu kratzen, wenn ich nervös oder müde bin, oder nachts im Schlaf, ohne es zu merken. Oder im Sommer, wenn ich wieder mal Lust hätte, ein Kleid oder einen Rock anzuziehen, weil die Sonne scheint und alle Mädchen ihre braungebrannten Beine zeigen. Aber dann kaufe ich mir einfach eine tolle Hose und vergesse manchmal sogar, wie es darunter aussieht. Carla Carlson

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