: Schleuderkurs in der Steuerpolitik
■ Auseinandersetzung um die Bonner Steuerreform–Pläne und deren Finanzierung / von Ulli Kulke
Satte 44 Milliarden DM soll die „große Steuerreform“, von Bundeskanzler Kohl zum „Jahrhundertereignis“ hochstilisiert, kosten. Wie bei jeder politökonomischen Zäsur, zumal von diesen Dimensionen, fragt sich auch hier der kritische Beobachter: „Cui bono“ - Wem nützt das ganze?.
Der Pulverdampf innerhalb der CDU nach Lothar Späths Scharmützel gegen die Bonner Steuerreform–Pläne war noch nicht verraucht, und schon sorgte der Kanzler persönlich für neues Ungemach - auf seine spezielle Art und von ganz hoch oben, aus Tibet. Politik paradox: Anstatt Lothar Späths Warnung, die Steuerreform sei derzeit nicht finanzierbar, als den naheliegendsten Denkanstoß aufzugreifen, räsonnierte Kohl laut hörbar aus dem Land der Yetis, man werde spätestens bis 1992 die Gewerbesteuer abschaffen. Direkt betroffen da von wäre zwar nicht Kohls Bundesetat, sondern die Gemeinden, ohne Kompensation aus Bonn bräuchte darüber jedoch nicht diskutiert werden; die vor der Pleite stehenden Kommunen können nicht mal eben auf 32 Milliarden DM pro Jahr verzichten. Späth erntete die erwarteten Proteste. Etwas zurückhaltend aus dem Hause Stoltenberg (“ich bitte Sie dringend, den Kurs der Regierung mitzutragen“) aber umso heftiger von der FDP. Lambsdorff tobte und der FDP–Politiker Brüderle, in Mainz soeben erst in eine Koalition eingestiegen, sah die Bonner Koalition schon platzen. Für den kleinen Koalitionspartner sind die sich anbahnenden Reformzweifel in der Union eine willkommene Gelegenheit, sich vor den Landtagswahlen bei der FDP–Klientel zu profilieren. In der Manier Reagans, der sich 1980 vom Fachmann Laffer auf einer Papierserviette in die Magie steigender Staatseinkünfte durch drastisch gesenkte Steuersätze einweisen ließ, träumt Kohl nun davon, daß die Abschaffung der Gewerbesteuer „den größten Schub für die deutsche Wirtschaft seit dem Aufbauboom der fünfziger Jahre bringen“ wird. Daß das Magierduo Laffer/Reagan in Washington das größte Haushaltsdefizit aus dem Hut gezaubert hat, dürfte dann bei Kohl unter die Gnade des „Zu–spät gemerkt“ fallen. Durch heftige Reaktionen seiner Parteikollegen vor allem aus der kommunalen Ebene wurde Kohl zum Rückzug gezwungen. Aus Kathmandu/Nepal angekommen, ließ er schließlich signalisieren, es sei alles nicht so gemeint gewesen. Kohls lautes Nachdenken ist dabei auch ein verzweifelter Versuch, für Ruhe im eigenen Laden zu sorgen, in dem die Steuerdiskussion immer reger wird. Aus München hatte sich vor Wochen Franz–Josef Strauß zu Wort gemeldet, offenbar in Angst, die für die Steuerreform unerläßlichen Einsparungen könnten die Bonner Zuwendungen für seine Firma Deutsche Airbus GmbH tangieren: Man könne doch die Mehrwertsteuer mal wieder anheben, regte Strauß an. Eine entsprechende Diskussion innerhalb der EG über eine Harmonisierung dieser Verbrauchssteuer - die für die BRD auf eine Erhöhung hinausliefe - kam ihm dabei zupaß. Nicht auszuschließen, daß Strauß ganz nebenbei auch seinen Konterpart Lambsdorff zusammen mit der so ungeliebten FDP treffen wollte, die eine höhere Mehrwertsteuer zur Finanzierung der „großen Reform“ nachdrücklich ablehnt und endlich spürbare Einschnitte bei den Subventionen sehen will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen