Schlecker wird zerschlagen: 13.200 Kündigungen
Die zahlungsunfähige Drogeriekette Schlecker wird abgewickelt. Es lag kein annehmbares Angebot vor. Potenzielle Investoren befürchteten zu hohe Kosten.
BERLIN/ STUTTGART taz | Das Aus von Deutschlands einst größter Drogeriemarktkette Schlecker ist besiegelt. Der Gläubigerausschuss sah in der entscheidenden Sitzung am Freitag keine Perspektive mehr für eine wirtschaftliche Zukunft. „Wir haben überhaupt kein annehmbares Angebot vorliegen“, sagte der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz in Berlin. Für die verbliebenen Mitarbeiter wird es nun wohl schnell gehen: Noch im Juni, schätzt Geiwitz, werde in einem Großteil der Filialen der Abverkauf beginnen. Die noch mehr als 13.200 MitarbeiterInnen werden voraussichtlich Ende Juni, Anfang Juli entlassen.
Man sei kurz vor Abschluss mit einem Investor gewesen, der auch von den Gläubigern akzeptiert worden wäre, erklärte Geiwitz. Das Problem seien die immer noch immens hohen Verluste der Kette gewesen sowie die hohe Zahl an Kündigungsschutzklagen. Hätten die Klägerinnen vor Gericht Erfolg gehabt und wieder eingestellt werden müssen, hätte ein Investor auch diese Kosten in Millionenhöhe tragen müssen.
Zuletzt waren noch zwei Investoren im Rennen, der deutsch-amerikanische Milliardär und Karstadt-Käufer Nicolas Berggruen sowie laut Medienberichten der US-Investor Cerberus. Insolvenzverwalter Geiwitz hatte beiden eine Frist bis Freitag eingeräumt, um bei ihren Angeboten nachzulegen.
Bundesregierung will Hilfe leisten
„Wir müssen die Entscheidung zur Kenntnis nehmen, die die Gläubiger gefällt haben“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Rande eines Treffens mit Russlands Regierungschef Wladimir Putin in Berlin. Nun müsse sich die Agentur für Arbeit um entlassene Mitarbeiter kümmern. Die Bundesregierung, insbesondere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), werde sich kundig machen und „alles versuchen, da Hilfe zu leisten. Da ist im Augenblick vieles möglich“, so Merkel.
Unterdessen verteidigte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) seine Ablehnung von Staatshilfen für die marode Drogeriekette. „Grundsätzlich gilt in der sozialen Marktwirtschaft, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, Unternehmen zu retten“, sagte er. „Dies wäre wettbewerbsverzerrend und würde an anderer Stelle viele Arbeitsplätze kosten.“ Zugleich verwies er auf eine robuste Konjunktur. „Erfreulich ist, dass der Arbeitsmarkt derzeit im Einzelhandel viele Chancen auf Weiterbeschäftigung bietet“, so Rösler.
„Mit einer Transfergesellschaft hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lösung gegeben“, glaubt hingegen Geiwitz. Als Beleg zieht er das Tochterunternehmen IhrPlatz heran, das wohl eine eigenständige Zukunft hat. Weil es dort eine Transfergesellschaft gebe, hätten nur 3 Prozent der Gekündigten Klagen eingereicht, im Gegensatz zu knappen 50 Prozent bei Schlecker.
Hemmschuh für Investoren
Nach der Insolvenz-Anmeldung hatte die Politik wochenlang um eine Transfergesellschaft gerungen, um die Schlecker-Beschäftigten aufzufangen. Eine Bürgschaft aller Bundesländer über 70 Millionen Euro hatte einen Kredit der Staatsbank KfW absichern sollen. Doch die bayerische FDP stellte sich dagegen.
Christel Hoffmann, die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, bestätigt die Sicht des Insolvenzverwalters: „Die vielen Kündigungsschutzklagen waren ein Hemmschuh für die Investoren.“ Dennoch sei es richtig gewesen, dass die MitarbeiterInnen die Klagen eingereicht hätten. Für Ver.di-Chef Frank Bsirske ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Er forderte die Einrichtung eines Sonderfonds. Damit sollten die Gehälter noch zwei bis drei Monate gezahlt und in dieser Zeit weiter mit potenziellen Investoren verhandelt werden. Mittel dazu könnten aus dem europäischen Globalisierungsfonds kommen.
Der Annahme, die MitarbeiterInnnen würden schnell wieder Jobs finden, widersprach Bsirske: Bislang hätten nur 1.200 Gekündigte eine neue Arbeit gefunden - vor allem im Niedriglohnsektor. Bei Schlecker wurden zuletzt, nach langen Bemühungen seitens Gewerkschaft und Beschäftigten, Tariflöhne gezahlt.
Bisher sind laut Geiwitz an Schlecker Ansprüche zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro angemeldet worden. Große Gläubiger sind der Kreditversicherer Euler Hermes, der Finanzdienstleister Markant Finanz AG sowie der Staat in Form der Arbeitsagentur.
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