: Schlappen-Richard goes West
Richard Schröder, philosophierender Theologe und Sozialdemokrat, will in den Bundestag ■ Von Bascha Mika
Schröder, wer issen des? Nicht um Gerhard (West) geht es, sondern um Richard (Ost). Immerhin, beide sind Sozialdemokraten – die einzige Gemeinsamkeit.
Richard Schröder gehört zu diesen besonderen Exemplaren, wie sie nur der Osten hervorbringen kann. Ein Philosoph, der, statt seine Gedanken ins Weite zu richten, auf Knien rutscht, um seine Terrasse zu fliesen. Der statt weicher Schreibtischhände kompakte Finger mit viereckigen Nägeln hat, unter denen meist noch ein bißchen Dreck klebt. „Richard Schröder“, spöttelt der Ost-SPD-Gründer Martin Gutzeit, „hat in der verblichenen DDR die marxistische Kritik an der arbeitsteiligen Gesellschaft in eigener Person aufgehoben“. Die Finger noch ölgeschwärzt vom Wartburg-Basteln, quälte er seine Studenten mit Georg Pichts „Wahrheit, Vernunft, Verantwortung“, während er sich beiläufig einen Rest Mörtel vom Hosenbein kratzte.
Der Mörtel stammte von Schröders Haus in Blankenfelde, am Rande von Berlin. Jahrelang hat er daran herumgemauert, mal kam ein Anbau dazu, mal die überdachte Terrasse, da wurde improvisiert und gestückelt. Osten eben. Der Theologe Schröder lehrte derweil Philosophie am Sprachenkonvikt, der kirchlichen Hochschule in Ostberlin. Inzwischen ist er Professor an der Humboldt-Universität, und sein Haus hat sich gleichfalls verändert; das Murkelige daran ist verschwunden. Doch zum ersten Mal hat Schröder nicht selbst Hand angelegt. Neue Verhältnisse eben. „Zwei linke Hände haben wir nich, ne“, grinst der denkende Heimwerker und trabt vom Wohnzimmer zur Küche, von der Küche in die Diele, bringt hier ein Papier mit, da einen Teelöffel und läßt sich dann seufzend in seiner neuen Sitzgruppe nieder.
Die wird er wohl nicht allzu häufig genießen. Denn Schröder, der in der kurzen Zeit des DDR-Parlamentarismus Fraktionsvorsitzender der SPD war, will in die Politik zurückkehren. Der brandenburgische SPD-Landeschef Reiche favorisiert seine Nominierung auf Platz eins der Landesliste. „Ich will“, stellt er mit gespitztem Mund über der Teetasse fest, „die Stimme der Ostdeutschen in Bonn verstärken, so etwas wie Übersetzeraufgaben übernehmen. Ich glaube, daß ich dazu eine gewisse Begabung besitze.“ Daß er durchfallen könnte, fügt er bescheiden hinzu, „kann ich mir nicht gut vorstellen.“
Andere auch nicht. „Wenn er ernsthaft will, wird es nicht einfach sein, ihn zu verhindern“, tönt es gepeinigt aus der linken Sozi-Ecke. Schröder ist – sagt man es höflich – umstritten. Er redet vom „Deutschsein“ und von der „Wiederkehr des Nationalen“ und findet es höchst unangebracht, daß einem Deutschen Paris näher sein kann als Leipzig. Hier und da würde er schon was ändern wollen an den Verhältnissen der real existierenden Demokratie. Doch – ach! – ihm fehlt der Glaube: daß sich die Welt und vor allem die Menschen dann bessern würden. Statt hochgestochener Moral predigt er deshalb lieber das moralisch Handhabbare: daß die Welt ein bißchen erfreulicher wäre, wenn alle sich ein bißchen mehr anstrengten. Ein Wertkonservativer, dessen Ansichten durch protestantische Tradition und humanistische Bildung von ätzenden Bitterstoffen befreit sind – und dadurch verdaulicher werden.
Das muß einem so nicht gefallen, doch es ist originell, wie der ganze Schröder. Wer Loriot liebt, muß ihn mögen. Schröder ist den Knubbelmännchen, die der komische Preuße malt, einfach zu ähnlich. Rein äußerlich, versteht sich. Die Figur recht klein und rundlich, Bauch genug, damit sich die Hose dran festhalten kann, ein schmaler, gekräuselter Mund und darüber die knollige Nase. Und wenn das Loriot-Männchen sinniert und dabei die Hand platt auf den Kopf legt, ist auch das ein Stück Schröder. Der postiert beim Denken seine Hand flach auf dem oberen, spärlich behaarten Haupt, als wolle er seine Gedanken durch Druck komprimieren.
Hand auf dem Kopf, Blick ins Ungefähre, spitzt der Fünfzigjährige im Wohnzimmer den Mund und meint: „Wenn ich dieses Jahr nicht kandidiere, gehe ich in meinem Leben nicht mehr in die Politik zurück.“ Da macht Paule mit einem jähen Sprung seiner Rede ein Ende. Paule ist in Wahrheit eine Paula. Mit der Geschlechtsbestimmung gab es Probleme, als sie ins Haus kam. Sie ist Schröders einzige Mitbewohnerin, eine schwarze Katze. Von seiner Frau ist er geschieden, die beiden Töchter führen ihr eigenes Leben.
Nicht nur Parteifreunde werfen Schröder vor, mit allzuviel Verständnis und Menschelei die Maßstäbe bei der Stasi-Debatte „versaut“ zu haben. „Wo es möglich ist“, verkündet er, während er Paule in den Garten befördert, „sollen wir barmherzig sein.“ Ein Versöhner! loben ihn die einen. Versöhnlerisch! hadern die anderen. „Man muß nicht alles wissen wollen“, warf er als Argument in die häßliche Diskussion um die DDR-Geschichte. Er verteidigte das Recht der Täter, zu einem normalen Leben zurückzukehren, und verkündete öffentlich: „Das nochmalige Durchdeklinieren der Vergangenheit ist nicht unbedingt ein therapeutischer Prozeß.“ Damit vergrätzte er gnadenlose Stasi-Jäger und aufrechte BürgerrechtlerInnen, die wie die Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe meinten: „Es muß sich gelohnt haben, anständig zu sein.“
Bis heute ist Schröder auch barmherzig zu Manfred Stolpe. Der ist ja nicht nur Parteifreund, sondern auch Bruder aus DDR- Kirchenzeiten. Wie in jeder ausgegrenzten Gruppe, herrschte in der „Kirche im Sozialismus“ ein eigentümliches „Wir-Gefühl“. Besinnt sich Schröder auf diese Solidarität unter Kirchenmännern, wenn er den Ministerpräsidenten noch immer verteidigt? Oder warum sonst behauptet er gegen jede Evidenz: „Das Engagement von Stolpe war vertretbar. Trotz Stasi-Kontakten hat er für mich seine Vertrauenswürdigkeit nicht verloren. Stolpe soll im Amt bleiben.“
In seiner barmherzigen Art, kann Richard Schröder eben vieles verstehen. Auch sich selbst. „Ich bin moderat“, gibt er zu, „mir leuchten Gegenargumente einfach zu oft ein. Das ist wirklich ein Problem. Denn in der Politik ist das doch alles andere als üblich.“
Gemäßigt wie er sind selbst die kleinen Bleisoldaten, die in einer Vitrine seines Hauses lagern. Stolz auf das Werk seiner Hände, holt Schröder sie herbei und stellt sie auf. „Alle nur in Paradestellung, keiner in kriegerischer Haltung“, betont er gleich. Diese Figuren hat er früher gegossen, um sein karges Kirchengehalt von 624 Mark aufzubessern. In den siebziger Jahren arbeitete er vier Jahre als Pfarrer im Harz und goß nebenbei Bleisoldaten, die er an ein Museum verkaufte. „Da mußte man eine gewisse Sammeltätigkeit entwickeln, um an das Material heranzukommen. Drei Zentner Blei hab' ich noch im Keller.“ Ein aberwitziges Kichern schwingt durch den Raum. Tatsächlich, es kommt aus Schröders Sessel. Dann springt er rastlos auf, um die Figuren wegzupacken.
„Schlappen-Richard“ war er zu Ostzeiten für seine Studenten, denn sein Schuhwerk trug er sommers wie winters weit offen. Nur mit Latschen, die seine Gangart prägten, bedeckte er selbst bei grimmigster Kälte die Füße, weil sie, wie er heiter bekennt, „immer so heiß waren“. Doch mit der Wende kam die Öffentlichkeit für Richard Schröder und damit geschlossene Fußkleidung. Im Dezember 1989 trat er in die drei Monate alte Ost-SPD ein, die damals noch SDP hieß. Er hatte sich lange bitten lassen. Seine Freunde aus dem „Arbeitskreis Theologie und Philosophie“ – neben Martin Gutzeit auch Markus Meckel, Wolfgang Templin und Ibrahim Böhme – hatten bereits im Herbst 1988 angefangen, über eine Parteigründung nachzudenken. Schröder hielt das Unterfangen für „nicht unproblematisch“ und zögerte seine Entscheidung hinaus – bis sie woanders in Form der Mauer fiel. Kein Revolutionär eben, noch nicht mal ein Radikaler.
„Nicht unproblematisch“ ist ein typischer Schröder-Spruch. Vorsichtiges Wägen scheint so bezeichnend für ihn, daß man versucht ist, daran seine ganze Lebensphilosophie aufzuhängen. Formuliere Kritik, aber immer mit Maß! Schwing nicht die Peitsche, sondern hau mit dem Stöckchen – aber stur in dieselbe Kerbe!
Bei den Genossen machte er sich schon zu Zeiten der DDR- Volkskammer, dem letzten Ost- Parlament vor der Vereinigung, unbeliebt. Er verwische originäre SPD-Positionen, wurde ihm als Fraktionsvorsitzendem vorgehalten, denn er verstand sich hervorragend mit den CDUlern. Als alle anderen längst gehen wollten, hielt er penetrant an der großen Koalitition fest.
Beim Währungsunions- und Vereinigungsrennen galoppierte er mit den Christdemokraten Krause und Schäuble in eine Richtung. Zum „trojanischen Pferd von Kohl und de Mazière“ wurde der Ost-Gaul ohne Stallgeruch gestempelt. So eine Mähre wollte natürlich niemand im gesamtdeutschen SPD-Vorstand haben, für den Schröder 1990 kandidierte. „Der muß ja konservativ bis reaktionär sein“, faßt Schröder heute gelassen die Vorurteile über sich zusammen, „der redet ja von Nation.“ Der will einen starken Staat und fürchtet nichts mehr als das Chaos. „Für die Alt-68er bin ich noch immer ein Hinterwäldler“, kichert er auf seine unnachahmliche Art und scheint doch leicht gekränkt. Hat denn niemand wahrgenommen, daß er sich inzwischen mit respektablem Schuhwerk präsentiert nebst weißem Hemd und daß selbst seine Hände kaum noch Spuren der alten Bastlerleidenschaft tragen?
Nach seinem Mißerfolg in der SPD zog sich Schröder 1990 aus der Politik zurück. Er holte seine Habilitation nach, die ihm als Theologe im Sozialismus verweigert wurde. Als Hochschullehrer ist er „wundervoll chaotisch“, stellen seine StudentInnen fest. Unbekümmert und mit trockenem Witz gewappnet, schlappt er im Seminar vor der Wandtafel auf und ab, kritzelt Notizen zum Verhältnis von Theologie und Philosophie, schiebt mal schnell einen Exkurs zur Kirchengeschichte ein, beschmiert sich nebenbei ein wenig mit Kreide, um dann mit all seinen Gedanken, die sich zweifellos systematisch in seinem Kopf verbunden haben, plötzlich in einem Schwall und ungeordnet herauszuplatzen. Die ZuhörerInnen verstehen nicht viel, aber es ist anregend und amüsant. In Hochschulgremien pocht Schröder mit Standesdünkel auf die Rechte der Professoren, doch im Disput ist sein Geist offen und sein Lehrstil unautoritär.
Die letzten Jahre nutzte er außerdem als Publizist und ärgerte die Linken in seiner Partei mit klugen, maßvoll mahnenden, staatstragenden Kolumnen: „Deutschland, schwierig Vaterland“. Da kommt er auf unkapriziöse Weise vom Deutschen im allgemeinen zu Ost und West im besonderen. Er ist Ostler mit allen Wurzeln seiner Biographie und doch einer, dem selbst Westler einen Blick fürs Allgemeine zutrauen.
Das dachte auch Wolfgang Schäuble, als er Schröder zum Nachfolger des Bundespräsidenten vorschlug. Schröder wäre zweifellos der „ganz andere“ nach Richard von Weizsäcker geworden, doch da war der SPD-Kandidat Johannes Rau vor. „Gegen Rau hätte ich nie kandidiert“, stellt Schröder fest und greift zur Zigarette. Er pafft, fährt fort: „Das Amt wäre eine ungewöhnliche Herausforderung gewesen. Aber daß ich mich danach sehne, mich auf ein sehr glattgebohnertes Parkett zu begeben, kann ich nicht behaupten. Anders wäre es gewesen, wenn die SPD einen gemeinsamen Kandidaten aus dem Osten gesucht hätte.“ Klingt da nicht doch ein Schuß gekränkter Eitelkeit und Bedauern mit? Aber für einen Mann wie Richard Schröder gibt es aus der „Verantwortung für Deutschland“ doch noch genügend anderes zu tun.
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