Schlammkatastrophe in Ungarn: Rotschlamm giftiger als erwartet

Bedrohung für die Nahrungsmittelkette? Von Greenpeace vorgelegte Messergebnisse zeigen, dass der Rotschlamm in Ungarn giftiger ist erwartet. Für die Donau geben Behörden Entwarnung.

Fast kein Haus ist in diesem Dorf vom giftigen Schlamm verschont geblieben. Bild: dpa

WIEN/BUDAPEST afp/rtr/dapd | Die Umweltorganisation Greenpeace hat nach dem Chemieunfall in Ungarn vor einer lang anhaltenden Umweltverschmutzung gewarnt. "Es besteht das Risiko einer dauerhaft verseuchten Natur und der Nahrungsmittelkette", sagt der Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster am Freitag in Wien. Zugleich kritisiert er, dass die ungarischen Behörden die Menschen nicht ausreichend über die Gefahren der giftigen Substanzen in dem ausgetretenen Schlamm informiert habe.

Schuster zufolge ist davon auszugehen, dass 4.000 Hektar Land für die Landwirtschaft unbrauchbar geworden sind. Der Arsen-Gehalt des Schlamms liege bei 110 Milligramm pro Kilogramm, wie Messungen der Umweltorganisation ergeben hätten: "Das ist zwei Mal so hoch wie wir erwartet haben." Auch der Quecksilber-Gehalt sei erhöht und könnte von den Fischen aufgenommen werden, so Schuster. Greenpeace forderte zudem Proben zur Feststellung des Chrom-Gehalts im Schlamm. Mit Ergebnissen sei erst am Montag zu rechnen.

Das chemische Element Arsen ist für Pflanzen und Tiere giftig, kann sich insbesondere in Wirbellosen anreichern und beim Menschen nervenschädigend wirken. Quecksilber kann sich in der Nahrungskette, insbesondere bei Fischen, anreichern, und ebenso wie Arsen das Nervensystem schädigen. Bei hohem pH-Wert, wie er beim Rotschlamm vorliegt, sind diese Schadstoffe noch relativ fest gebunden, bei sinkendem pH-Wert (etwa in Flüssen) können sie jedoch in größerem Umfang langsam freigesetzt werden.

Schuster warnt, dass der Arsen-Gehalt zu einer Verschmutzung des Trinkwassers führen könne: "Wir wissen aber noch nicht genau, inwieweit das Grundwasser betroffen sein wird." Es komme jetzt darauf an, dass die Einsatzkräfte vor Ort Barrieren errichteten, damit sich der Schlamm nicht weiter in den Fluss verteile. Darüber hinaus befürchtet Schuster eine Luftverschmutzung, sobald der rote Schlamm trocknet. Derzeit seien die giftigen Substanzen noch im Schlamm enthalten. Mit besserem Wetter steige aber das Risiko, dass der Schlamm trockne und die Substanzen in die Luft abgegeben würden.

Greenpeace warf den ungarischen Behörden Verharmlosung vor. Eigene Proben aus Kolontar in der Nähe des geborstenen Rückhaltebeckens belegten, dass die Regierung die Gefahren unterschätzt habe. "Die Mengen, die wir gefunden haben, sind ökologisch sehr relevant, denn vor allem bei Arsen und Quecksilber besteht die massive Gefahr, dass sich diese Stoffe in der Umwelt anreichern", so Greenpeace-Chemiker Schuster.

Die Umweltkatastrophe, die ohnehin zu den schwersten in Europa gehöre, sei nun noch schlimmer einzuschätzen. Den Bewohnern der betroffenen Gebiete könne er keine Hoffnung machen. Alle vom Schlamm überrollten Böden seien verseucht. "Ein Leben, wie es vor dem Unfall war, wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren nicht mehr möglich sein", erklärt Schuster.

Das Unternehmen hinter der Giftschlammkatastrophe in Ungarn will nach eigenen Angaben alle seine "Energie" dafür einsetzen, die Auswirkungen zu mindern. Im Kampf gegen die Katastrophe habe es den Behörden umgerechnet bereits 110.000 Euro zur Verfügung gestellt, teilte der ungarische Aluminiumhersteller MAL mit. Erneut versicherte das Unternehmen, völlig schuldlos an der Katastrophe zu sein.

Greenpeace fordert unterdessen von den Eigentümern des Werks MAL AG die volle Übernahme aller Kosten. Die Gesellschafter müssten nicht nur alle Schäden gründlich beseitigen lassen, sondern der betroffenen Bevölkerung auch Schadenersatz zahlen, verlangte die österreichische Greenpeace-Sektion in Wien.

Due Umweltschützer wiesen darauf hin, dass die beiden Hauptaktionäre der Firma zu den dreißig reichsten Ungarn zählen. "Dagegen ist die Ankündigung der Firma MAL, den Menschen eine Entschädigung von lediglich 110.000 Euro zu zahlen, nicht nur inakzeptabel, sondern angesichts der Todesfälle, der Verletzten und der Schäden vor Ort hochgradig zynisch", erklärte die Organisation.

Für die Donau haben die Behörden am Freitag Entwarnung gegeben. Der aus einem Rückhaltebecken ausgetretene rote Giftschlamm habe das Trinkwasser nicht verschmutzt, teilte Innenminister Sandor Pinter am Freitag mit. Die pH-Werte des Donau-Wassers seien auf ein "normales Niveau" zurückgegangen, hieß es beim ungarischen Katastrophenschutz.

Unterdessen stieg die Zahl der Todesopfer nach der Giftschlammkatastrophe auf fünf. Laut Einsatzkräften und Krankenhaus starb ein älterer Mann infolge seiner Verletzungen, die er bei dem Chemieunfall erlitten hatte. Am Freitag hatten die Behörden aus einem zweiten Schlammbecken in der Nähe von Kolontar weitere Industriebawässer abgelassen. Ein Sprecher der Katastrophenschutzbehörde, Tibor Dobson, sagte, dass rund 100.000 Kubikmeter einer ätzenden Flüssigkeit nach und nach in den ohnehin schon toten Fluss eingeleitet würden. Damit soll offenbar einem weiteren Unfall vorgebeugt werden.

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