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■ SchlaglochEin Oster-Opfer als Politikersatz Von Christiane Grefe

„Aus Pietät.“

Begründung des bayerischen Sozialministeriums, das Reportern den Zutritt beim Schlachten von 3.000 angeblich BSE-gefährdeten Rindern verbot

Darf ich Reinhilde vorstellen? Da kommt sie gerade: ja, die mit den stämmigen Beinen und der ausladenden Pausbacken- und Kinnpartie. Eine nicht gerade zierliche, doch edle Dame, noch vom alten Schlage der Schumavska. Regungslos steht sie im Stroh und mustert die Eindringlinge mit leicht überheblichem, abwartendem Blick. Auch mißtrauisch, wie es sich eben für ein ordentliches Leitschaf gehört, hinter dessen unübersehbarer Autorität sich eine 16köpfige Mutterherde mit noch einmal so vielen Osterlämmern dicht aneinanderdrängt.

Reinhilde, Ancilla, Mathilde – Peter Neugebauer ruft seine Schafe zur Zeit gern mit Namen der „englischen Fräuleins“, jener katholischen Ordensschwestern, die in Bayern für die höhere Mädchenbildung sorgten; so gestrenge, daß der niederbayerische Züchter mit ihnen vor allem „zickige (sic?), sture Jungfern“ assoziiert. Er öffnet das Tor des Verschlages, da springen sie nacheinander hinaus: behornt und unbehornt, mit vielen oder wenig Pigmentflecken am schmalen Kopf; manche mit, manche ohne „Dachrinnen“-Scheitel in der Mischwolle aus langem Ober- und feinem Unterhaar. Kein „Waldschaf“ sieht aus wie das andere – Dollys glattes Gegenteil. Nur unglaublich abstehende Ohren haben sie alle, echt waagerecht! Wohl ein Erbe ihres Urahns, des Zaupelschafs. „Zaupel“ nannten die Niederbayern früher – den englischen Fräuleins nun reichlich entgegengesetzt – lockere Mädels, und das Schaf tauften sie so, weil es ohne feste Brunftzeit oft zweimal im Jahr lammt. Was bis heute einen seiner wirtschaftlichen Vorzüge ausmacht – neben Genügsamkeit, Robustheit und perfekter Anpassung an die rauhe Mittelgebirgslandschaft.

Okay, okay, wir sind hier auf der taz-Kommentarseite und nicht in der Zeitschrift Der Bayerische Schafhalter, und gäbe es nichts Wichtigeres in diesen Zeiten? Doch erstens ist Frühling, zweitens hat, was entfremdete Esser selten wahrnehmen, die Osteridylle über dem Inntal sehr wohl politische Dimensionen. Zum Beispiel sind Waldschafe vom Aussterben bedroht: Nicht mal mehr 90 Exemplare gab es noch vor sieben Jahren, gerademal 450 sind es wieder. Dabei stellt die bunte Erscheinungsvielfalt dieser uralten Rasse einen vitalen Genpool dar, der sich allein in tiefgekühlten Samenbanken kaum neuen Umweltbedingungen stellen kann. Zu ihrer über Jahrtausende gewachsenen regionalen Anpassung gehören zum Beispiel harte Klauen, die gegen Moderhinke-Infektionen nahezu resistent sind – so kann man sie auch auf saure, feuchte und moorige Böden stellen.

Doch nicht nur diese, zwei Drittel aller Schafrassen überhaupt sind akut bedroht, weil bei der Zucht seit Jahrzehnten fast nur noch eine Markteigenschaft, die Fleischmenge, zählt. Und noch ausgeprägter ist die genetische Verarmung beim Rind. Um 1900 gab es allein in Bayern noch 35 Rassen – heute machen ganze vier bundesweit 96 Prozent des Gesamtbestandes aus. Oft haben zigtausend Tiere den gleichen Vater, die Folgen solcher genetischen Monokultur sind bekannt: Krankheitsanfälligkeit, manche der schwächlichen Milch-und-Fleisch- Produktionsmaschinen kriegen nicht mal mehr ihre Kälber auf die Welt.

Solche Fakten aus der Tierzucht nehmen wir überzeugten Bewohner von Innenstädten in Bayern derzeit auch etwas sensibler wahr – das ist so, wenn man beim Gulaschkochen aus dem Radio von den mühsam unterdrückten Anspannungstränen des Amtstierarztes hört; jenes in seinem Berufsethos Gekränkten, der die Tötung der ersten von rund 3.000 Importrindern im Erdinger Moos überwachen muß und somit unten ausbadet, was Agrarpolitiker oben zynisch vergeigt haben. „Pumperlg'sunde“ Tiere, das gab selbst der Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums zu, werden da noch bis Anfang April bewußtlos gespritzt, geschlachtet und verbrannt, obwohl ziemlich viel gegen eine BSE-Gefahr für Menschen spricht: unter anderem die Bestimmung, daß sie in Bayern als Schlachtvieh ohnehin nicht mehr verwertet werden dürfen. Das Ganze wirkt also eher wie ein makabrer, reinheitsideologischer Frühjahrsputz, um die mißtrauisch gewordenen Fleischkonsumenten in Scheinsicherheit zu wiegen. Jetzt wird alles gut – auch wenn es nach wie vor keine zuverlässigen Rindertransportkontrollen gibt, Mischfuttermittel nicht regelmäßig auf Tiermehlzusätze kontrolliert werden und deren Verfütterung an andere Tiere, etwa Hühner und Schweine, keineswegs EU- weit verboten ist. Geschweige denn, die Landwirtschaftspolitiker hätten, etwa durch Produktionsbegrenzungen pro Fläche, jene Überproduktionstierhaltung generell in Frage gestellt, in deren ökologisch ruinöse Profitlogik der „Unfall“ BSE ja durchaus paßt. Ein Osteropfer als Politikersatz, nur zugucken soll keiner. Das aber nun wieder, wie bei Oma Luise, „aus Pietät“ – vom verlogenen Schwanken des homo sapiens zwischen „schrecklicher Vermenschlichung und schrecklicher Vernichtung der Tiere“ hat Horst Stern schon 1978 geschrieben.

Schreckliche Vermenschlichung inszenieren auf ihre Weise allerdings auch viele radikale Tierschützer: „Ich bin schwarz, ich muß sterben“, dieses Schild trugen Demonstranten in München, gemeint war ein Rind. Ausländer, Frauen, Kühe, Tauben – vor den „Fleischessermördern!“ machen solch dumpfe Dogmatiker alle gleich, und für Schlachthöfe wird selten weniger als die Auschwitz-Analogie bemüht. Was Antisemitismus nicht ausschließt, etwa wenn es gegen das Schächten geht, bei „Moslems, desgleichen bei den ,Juden‘, die sich sowieso alles erlauben können ...“ – das hat ein Vorbeigehender auf ein Plakat im Münchner U-Bahnhof geschrieben. Eine gigantische Todesanzeige, übervoll mit solch haßerfülltem Gekrakel, aber mit putzigem Lichtbild: „Wir nehmen Abschied von Edelbert Lämmchen ... Der Leichenschmaus findet am Ostersonntag gegen 12 Uhr in jedem besseren Haushalt statt.“

Solch intoleranztriefendes Osterlammento, das eine jahrhundertealte Symbiose zwischen Mensch und Tier bösartig-sentimental ignoriert, ist einem wie Neugebauer fremd. Reinhilde, Ancilla und Mathilde haben zwar auch Namen und ihre Pflege mit Liebe zu tun. Doch für ihn bleiben sie Viecher, zu seinem Nutzen: „Essen ist der Sinn, warum ich das hier mache.“ So setzt der „Nebenerwerbslehrer“ der industriellen Mais-Fleckvieh-Monotonie seines Inntals nicht Kitsch entgegen, sondern Kultur: Vielfalt der Tiere, artgerechte Haltung, Geschichte, regionale Vermarktung. Und Klasse statt Masse. Das Mitglied der „Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen“ züchtet auch seltene Perlhühner, blauköpfige Bronzeputer rennen bedrohlich kollernd über seinen Hof, und demnächst kommt Rotes Höhenvieh auf die Weide. Darauf ein Likörchen! Aus den leider sehr krummen Eiern seiner Westfälischen Totlegerhühner.

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