piwik no script img

■ SchlaglochWenn Wahlkämpfer zuwenig lächeln Von Christiane Grefe

„In den nächsten paar Monaten werden wir viel Lächeln sehen. Sehen wir genau hin, wie starr die Oberlippen sind und wie frostig die Zähne...“ George Tabori, 1982

Vor einer Woche ging endlich der Ruck durchs Land! Schon früh um acht sah ich in der U-Bahn genau, wie er die Insassen beim Blättern in der Morgenzeitung durchzuckte, sobald ihnen das ganzseitige Lächeln des Gerhard Schröder erschien: „Ich bin bereit.“ Was, jetzt, um diese Uhrzeit, die Leute rieben sich die müden Augen, irritiert über das ebenso vertraueneinflößende wie verführerische Angebot aus nur ganz leicht gelösten Mundwinkeln; gehen wir zu mir oder zu dir?

Dann starrten sie den SPD-Sieger an, als wäre auf dem Genfer Autosalon nach Jahren wiederholter Prototyp-Präsentationen endlich feierlich das ausgereifte Modell „Kandidat“ enthüllt worden, rot–breit–stark: DAS NEUE GESICHT! Ein Gesicht, das aber sein Geheimnis nach allen Regeln der Erotik spannungsreich verbarg: Auch du wirst nicht herauskriegen, lockte es kokett, wozu ich überhaupt bereit bin, und was das bedeutet: „Modernität“. Und nicht zuletzt faszinierte der Sieger zwei Tage nach der Niedersachsenwahl mit der ambivalenten Attraktivität des Raubtiers, das gerade gefressen hat. Grrrrrr, sehr attraktiv! Wie in dem kleinen Gedicht: „Das satte Lächeln vom Tiger“.

Donnerwetter, derart eindeutige Zweideutigkeit hat wohl noch kein Wahlkampfteam gewagt. Schröders PR-Vertrauter Bodo Hombach, der noch nicht in Bonn installiert war, soll über die Anzeige zwar gemeckert haben; die SPD-Mantras „Wechsel“, „Führung“, „Innovation“ und „Gerechtigkeit“ stecken im Lächeln der Mona Schröder in der Tat höchstens irgendwie. Dafür symbolisiert es um so perfekter den verbreiteten Wunsch nach Wandel, aber bitte ohne zuviel Veränderung. Denn Schröder lächelt nicht für etwas, sondern pur – und diese Animiermimik entspricht genau dem politisch zunächst mal neutralen, allenthalben beschworenen „Wechsel an sich“.

Dergleichen Hoffnungsträger- Show wird die nächsten Monate bestimmen. Nichts wirklich Neues in Wahljahren: Die Klage, statt Programmen werde nur mit Köpfen an Emotionen appelliert, gehört zu demokratischen Abstimmungen etwa so kontinuierlich wie das daraufhin gesetzte Kreuz. Schröders Team wird den gefühligen Stimmenfang nach US-Muster allerdings auf die Spitze treiben. Denn ins Visier genommen sind die angeblich 38 Prozent Unentschlossenen von jenem Typus, der sich, so Thomas Meyer von der Friedrich-Ebert-Stiftung laut Spiegel, „in seinem Verhalten dem Zuschauer im Theater annähert: Er identifiziert den Wahlkampf bereitwillig als Inszenierung und belohnt den besten Darsteller mit seiner Stimme.“

Und wer ist das? Der beste Lächler, sagt der Bühnen- und Schauspielexperte George Tabori, weil Mund und Zähne „ein wesentliches Instrument des Politdarstellers“ seien: „Wir wissen, daß das Zahnhandwerk eine Wahl entscheiden kann.“ Sein Kursbuch- Aufsatz „Staats-Theater“ erschien bereits im ersten Jahr der Ära Kohl; im womöglich letzten lehrt er nicht weniger über das Lächeln als „Emblem des ideologischen Optimismus“, als „Grundgrimasse der Demokratie“.

Ein „Meisterlächler“ war demnach schon Franklin D. Roosevelt mit seiner „passenden Antwort auf das faschistische Stirnrunzeln“. Eisenhower folgte mit einem „netten, dusseligen Opalächeln“. Später John F. Kennedy, seines war das erste TV-Smile: „eine einzige gelungene Party mit fabelhaften Zähnen“. Für deren Perlweiß fehlte in Deutschland allerdings noch viel Verständnis, Oma rümpfte die Nase: „Daß der die immer so zeigt!“ Einer nach wie vor weitgehend autoritären Gesellschaft mit dem entsprechenden Staatsverständnis ähnlich verhaftet, waren Adenauer, Erhard oder Kiesinger denn auch noch keine großen Lächler. Willy Brandt dann um so mehr; sogar ein ehrlicher, „der sympathischste Politdarsteller unserer Generation“. Helmut Schmidt „der deutscheste“, dessen Augen und Zähne „manchmal unter vermeidbarer Anstrengung“ litten. Von Bill Clintons einnehmendem Gebiß konnte Tabori noch nichts wissen; ebensowenig von Tony Blairs fest installierter Präsentation aufgeschnürter Jacketkronen.

Der soll ja, so heißt es, Schröders Vorbild sein. Und tatsächlich hat der Kandidat schon eine ganze Menüfolge von Lächelvariationen drauf: väterlich, staatsmännisch, grinsend. Oder explosiv, wie auf einem anderen Bild der vergangenen Woche, das in die Geschichte eingehen wird: Da wirft es ihn schier nach vornüber, gemeinsam mit einem feixenden Rau, dem verhalten lachenden Lafontaine und brav enthemmten Rudolf Scharping, allesamt gelehrige Schüler des Wahlkampfberaters Homer: „Öffne das Gehege deiner Zähne...“ Offenbar wußte doch nicht erst Freud, daß diese Gesundheit, Aggression und Macht symbolisieren.

Wenn aber Macht = Zähnezeigen sexy ist – und das belegen die steil aufsteigenden SPD-Sympathiekurven nach der Niedersachsenwahl –, dann machen die Koalitionspartner zur Zeit alles falsch: Schmallippig verließen die Generalsekretäre Westerwelle, Hintze und Protzner, sonst notorische Fletscher, die Bonner Runde. Wolfgang Schäuble schürzt den Mund nach innen weg. Helmut Kohl, der so schön kindlich ungekünstelt lächeln kann, inszeniert sich im Zeit-Gespräch mit dem Exkanzler Schmidt jetzt schon selbst als historische Figur – also zahnlos. Heiner Geißler knirscht lautstark mit den Zähnen, andere Abgeordnete beißen die ihren zusammen. Mit Tabori muß man warnen: „Lächeln oder untergehen!“

Daß das Zuschnappen „wie die Macht, ambivalent ist, indem es Schmerz oder Lust bereitet“, weiß allerdings auch die SPD. Am Gegner knabbert man ja gerne herum, aber es tut weh, hat man auch in den eigenen Reihen aneinander zu beißen. So würden viele Sozialdemokraten Gerhard Schröder gern den Zahn ziehen, ein gutes Verhältnis zu Managern wäre an sich schon Modernität. Vor allem in Sachen Arbeitsmarkt und Ökosteuern werden die Grünen der SPD auf den Zahn fühlen; diese umgekehrt jenen in Sachen Nato. Am Ende ginge nach einem Wahlsieg Zug- und Strahlkraft ohnehin nicht allein vom Kanzler aus, sondern von seinem Kabinett. Den angekündigten zahlreichen weiblichen Mitgliedern darin mag es gelingen, auch noch den allerletzten Emanzipationserfolg zu erringen. Denn zeigen Frauen, wie es Heide Simonis kann, auch den aggressiven Charakter des Lächelns, also Zähne, dann heißt es bisher noch allzuoft, sie hätten Haare darauf.

Schröder kann morgen abend übrigens zeigen, daß er gute Mine zum bösen Spiel machen kann: Da werden sie ihn beim traditionellen Spott-Theater zum Münchener Salvatoranstich „derblecken“. Schon vorher warf der Schmunzler Theo Waigel dem „Machtmensch ohne Skrupel“ sein „Raubtierlächeln“ vor. Reiner Neid: Hier samma eben bloß Hund.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen