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■ SchlaglochStalinismus auf amerikanisch Von Klaus Kreimeier

„I have done wrong.“

Präsident Clinton letzten

Freitag bei einem Früh-

stück mit Kirchenführern

Was, um Himmels willen, mag Bill Clinton davon abgehalten haben, schon vor Monaten, noch bevor Sonderermittler Starr das Finish einläutete und die inzwischen etwas welke Paula Jones gegen die taufrische Praktikantin Monica Lewinsky auswechselte, vor die Öffentlichkeit zu treten und ein für allemal zu erklären: Mein Privatleben geht keinen Richter und keinen Sonderermittler, keinen Journalisten, keinen Politiker und auch kein amerikanisches Volk etwas an; niemand außer Hillary mische sich hier ein!

Eine hypothetische Frage, denn eines ist klar: Nicht nur die amerikanische Neigung, auf den Inhaber des Präsidentenamts und seine Familie alle Wunschbilder einer bonbonfarbenen heilen Welt zu projizieren, nicht nur die Jagdmentalität eines institutionalisierten Puritanismus (der freilich in der Bevölkerung immer weniger Resonanz findet), nicht nur die Verfassung und der Streit der Juristen darüber, was denn nun die Voraussetzung für ein Amtsenthebungsverfahren sei – mehr noch und vor allem die eigene bigotte Seele hat Clinton daran gehindert, die Meute aus fanatischen Ermittlern, sensationsgeilen Paparazzi und politischen Intriganten in den gegnerischen und in den eigenen Reihen abzuschütteln und sich den Aufgaben zuzuwenden, für deren Bewältigung er schließlich gewählt und zum Präsidenten ernannt worden war.

Dennoch: Was wäre geschehen, wenn? Starr hätte weiterermittelt, keine Frage, die Schnüffler jeglicher Profession hätten weitergeschnüffelt, das Szenario wäre, in seiner dramaturgischen Grundstruktur, im wesentlichen abgelaufen, wie es abgelaufen ist – bis zu dem etliche hundert Kilobyte schweren Internet-Erguß jenes „counsel“, der sich unbegreiflicherweise noch immer „independent“ nennt. Nur einer hätte eben nicht mitgespielt – der Präsident selbst.

Seine Aussageverweigerung, begründet vorgetragen und mit Konsequenz durchgehalten, hätte gewiß Freund und Feind vor den Kopf gestoßen, sie hätte die Verfassungsrechtler auf den Plan gerufen – und möglicherweise hätte Clinton nach einer sakrosankten, nichtsdestoweniger verkorksten Rechtsauffassung einen schweren Bruch mit den herrschenden Normen riskiert. Aber er hätte sich dabei auf eine mehrheitliche Stimmung in der Bevölkerung stützen können, die das Enthüllungsspektakel über das mal soft-, mal hardcore-pornographische Innenleben im Weißen Haus schon längst nicht mehr besonders unterhaltsam fand.

Mit einiger Sicherheit hätte er nicht nur eine kontroverse, mit Verve geführte Verfassungsdebatte entfacht, sondern eine notwendigerweise turbulente gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, wie unter den Bedingungen einer gnadenlosen Medienzivilisation die Grenzlinie zwischen privat und öffentlich zu ziehen sei. Ein überfälliger Diskurs, der womöglich Strukturen verändert und in vielen Köpfen das Denken umgekrempelt hätte. Hätte...

Es ist immer mißlich, im retrospektiven Konjunktiv zu sprechen; zudem bewegen sich diese Erwägungen fernab von der amerikanischen Realität, fernab auch davon, wie die Mächtigen in der Mediendemokratie Macht definieren. Das Problem ist ja nicht, daß die Mächtigen über zuviel Macht verfügen – vielmehr: daß sie zu dem begrenzten Machtpotential, das die Demokratie ihnen konzediert, kein Vertrauen haben. Sie mißtrauen sich selbst – und sie werden verzehrt von Angst: nicht nur davor, ihre Macht zu verlieren, sondern mehr noch davor, den Medien zur Beute zu fallen, denen unter den gegenwärtig herrschenden Geschäftsbedingungen gar nicht zu verübeln ist, daß sie jeden jagen, der Schwächen zeigt.

Daß die Mächtigen ihre Macht vorzugsweise einsetzen, um sie zu behalten, ist ein altes Lied, dem inzwischen eine neue Melodie gepfiffen wird: Erhaltung der Macht heißt heute, sich vor den TV-Kameras den Anschein zu geben, als habe man sie noch.

So entstehen Welt-Regenten mit verkrüppelter Seele, die zwar, wie Clinton im Fall jener jungen Praktikantin, in den Sexualfeudalismus des ius primae noctis zurückfallen, vor dem erstbesten Reporter jedoch in die Knie gehen und unsicher murmelnd nach der Hand der gedemütigten Gattin tasten. Die Bedienstete vorschicken, um Spuren zu verwischen, und eine Armee von Anwälten beschäftigen, um ihren Meineiden ein juristisches Make-up zu verschaffen. Die, wenn alles nicht mehr hilft und der Kostümfundus erschöpft ist, wie geprügelte Hunde herumschleichen und noch im Büßergewand Staatsbesuche absolvieren, sofern nur die Pose stimmt und von den Medien passend an das längst angeödete Volk transferiert wird. Die in der Seifenoper, die sie dem Publikum zumuten, keine Zugabe scheuen, solange die Regie nicht die Schwarzblende zieht.

Das Verteufelte ist, daß es in diesem Schmarrn gar keine Regie zu geben scheint, sondern ein Automatismus abläuft, in dem Verfolgungsbesessenheit (Starr), Feigheit (Clinton), Wahlkampf-Machiavellismus (bei den Republikanern wie bei den Demokraten) und die Heuchelei der Sittenstrengen nahtlos einander ergänzen und alle miteinander mit den Kameras von NBC und CBS um die Wette kokettieren. Ein stalinistischer Schauprozeß auf amerikanisch, an dessen Ende, so ist zu befürchten, der Delinquent tränenüberströmt seine eigene Amtsenthebung fordern und Hillary mit verklärtem Lächeln die Stars and Stripes schwingen wird, „proud of this country“.

Nur von einem rede man nicht: von Demokratie. Eher von einem Vorgang, der nachgerade atemberaubend vor Augen führt, wie die Demontage eines erfolgreichen, im eigenen Land und in der Welt geachteten Politikers von der Dramaturgie seiner Selbstdemontage eingeholt und übertroffen wird. Mit „demokratischer Wachsamkeit“ hat all dies sowenig zu tun wie Sonderermittler Starr mit den Begründern der amerikanischen Demokratie.

Und auch der D-Day der Mediengeschichte war wohl eher ein schwarzer Freitag. Schon wird in den Kommunikationskonzernen an geschäftstüchtigen Legenden gebastelt: Mit dem Starr-Report habe nun erstmals auch ein politisches Ereignis die Internet-Gemeinde in seinen Bann gezogen, frohlocken Netzbetreiber wie CompuServe.

Die Aussage diskreditiert das Internet, das schon heute Material genug enthält, um etliche Regierungen dieser Welt ins Wanken zu bringen. Und die „direkte Demokratie“, die sich enthusiastische Kommentatoren nach diesem Zwischenfall vom Daten-Highway erhoffen, hieße ausgerechnet den kompakten Reaktionär Newt Gingrich zum Vollstrecker einer Art globalen Basisdemokratie zu ernennen.

Demgegenüber ist anzunehmen, daß der Starr-Report das Schicksal aller ins Netz gesetzten Dateien teilen und sich früher oder später im Kosmos der Pixel verflüchtigen wird.

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