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Die Ungarn handeln nicht, sie lassen handeln  ■  E U R O F A N

Innerhalb der kommunistischen Sphäre war Ungarn das Land, das während der letzten drei Jahrzehnte von der Presse am freundlichsten behandelt wurde. Zweifellos hat dies dazu beigetragen, daß die Magyaren bei ihren Streifzügen im Westen mit gewisser Sympathie aufgenommen wurden.

Ungarn ist ein kleines Land, so daß es lächerlich wäre, sich vor ihm zu fürchten, dennoch groß genug, um es nicht einfach links liegen zu lassen. Die Industrie ist veraltet genug, um nie ein Konkurrenzfaktor zu sein, doch ist sie auch nicht soweit heruntergekommen, daß das Elend im Land zu augenfällig wäre. Warum sollten also die Europäer keine Sympathie hegen für die Bewohner der „fröhlichsten Baracke“ in Osteuropa? Den Bürgern der Comecon-Sphäre wiederum galt der ungarische Gulaschkommunismus lange Zeit als höchst erstrebenswert. Der Forint galt als die „eigenartigste“ Währung innerhalb des Blocks, man konnte ja für ihn ohne weiteres allerlei kaufen: Grillhähnchen und Bananen, spottbillige Quarzuhren aus Hongkong. Aus der Tschechoslowakei, aus Polen und Rumänien pilgerte man nach Ungarn, um diese begehrten Güter zu ergattern. Diese Käufer verkauften dann an den Straßenecken Baumwollsocken oder Schmuck, um in den Besitz des quasikonvertiblen Forint zu gelangen. Die „aufgeblähten“ Ungarn wiederum versteiften sich damals nicht mehr auf die besten Markenwaren aus dem Osten, sondern auf die billigsten Waren aus dem Westen. Freilich haben auch sie dies oder jenes im Osten gekauft, doch wäre es unangebracht gewesen, ihnen gegenüber die Zollkontrollen zu verschärfen, es kamen ja alljährlich fünf bis zehnmal soviele Polen oder Rumänen nach Ungarn, um dort einzukaufen, wie umgekehrt.

Inzwischen bewegte die Neugierde Millionen Menschen aus dem Westen dazu, den Plattensee zu sehen: die Magyaren ergatterten durch den schwarzen Geldwechsel ansehnliche Summen westlicher Währung. Mit diesem Geld rollten sie nach Wien, um billige Hi-Fi-Anlagen, später sogar Gebrauchtwagen zu kaufen. Und siehe da: was den Bürgern der Bruderländer als eine Sünde gilt, die nie vergeben werden kann, nämlich der Warenkauf, gilt im Westen als eine Tugend... Ein Wiener oder ein Münchner Kaufmann reagiert freilich anders auf die Situation als einer aus Warschau oder Preßburg, der die Ware versteckt, sobald ein Ausländer den Laden betritt...

Die bisherigen ungarischen Vorteile - ein kleines Land mit einer geringen Bevölkerung, die zwischen Ost und West vermitteln konnte - werden nach den Revolutionen in Osteuropa immer geringer. Können die Ungarn ihren Vorsprung nicht halten, könnte sich das Blatt wenden. Dann werden sie eben die Baumwollsocken und Spielzeugloks in Warschau oder in Berlin anbieten.

Tibor Fenyi

Der Autor ist Sprecher der liberalen Freien Demokraten Ungarns und Journalist in Budapest

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