piwik no script img

Schlaffe Erregung

■ Rolf Schneiders neuer Roman: Über deutsche Literatur

Jede Seele auf Erden behandelt ein Thema, das, von einigen Nachhutgefechten abgesehen, keines mehr ist: den deutsch-deutschen Literaturbetrieb; auch die Handlung des Romans findet bisweilen in einer Umgebung statt, die nicht mehr existiert: „Ich erklomm die Planken einer Aussichtsplattform... In einem Wachturm wurden Ferngläser auf mich gerichtet. Entfernt bewegte sich eine uniformierte Doppelstreife mit Schäferhund.“ Nun ist es unfair, einen Roman an Umständen zu messen, für die der Autor nichts kann; dennoch beeinflußt der Fall der Mauer die Lektüre, und es ist hin und wieder einfach irritierend, einen Gegenwartsroman zu lesen, der in der Vergangenheit spielt. Autor und Verlag wären mit einem Nachwort gut beraten gewesen. Aber um was geht es nun genau?

Boris Kliemann ist ein DDR-Schriftsteller, wie er westlichen Vorstellungen entspricht: „ständig besoffen, animalisch und etwas beschränkt“. Kliemanns neuestes Werk darf drüben nicht erscheinen. Zum Glück gibt es den deutsch -deutschen Literaturbetrieb, der es möglich macht, daß ein von subalternen Kulturfunktionären ausgesprochenes Publikationsverbot drüben sich ummünzen läßt: in einen Verleger wie Autor befriedigenden Publikationserfolg hüben. Der westliche Literaturbetrieb hat freilich so seine Tücken, die ein unbedarfter DDR-Autor nicht kennen kann. Dem inzwischen in den Westen übergesiedelten Kliemann bleibt jedoch das Glück weiterhin treu: ein weitläufiger Verwandter, seines Zeichens Literaturkritiker, der mit allen zynischen Wassern des westlichen Literaturbetriebs gewaschene Ich-Erzähler des Romans, nimmt den DDR-Autor Kliemann unter seine Fittiche. Ein nach „Schnaps, Autoabgasen und Regie fran?aise de tabac“ stinkendes Zimmer wird zum Initiationsraum. Bevor der Ich-Erzähler seine Predigt beginnt, wird ihm jedoch noch einmal nachdrücklich klar, daß er es mit einem DDR-Schriftsteller zu tun hat: „Boris Kliemann setzte sich erst, riß die Verschlüsse herunter und leerte nacheinander beide Bierbüchsen, Dann rülpste er und starrte mich mit stumpfen Augen an.“ Das Verhalten seines Schützlings spornt den Mentor umso mehr an: „Deine künftigen Leser sind Nichtleser. Es geht auch nicht darum, daß man dich liest, sondern darum, daß man dich kauft. Deine Bücher sind Waren. Bücherwelt ist Warenwelt.“

Das deutsch-deutsche Duo geht äußerst erfolgreich ans Werk; denn nun geht es Schlag auf Schlag. Ein Großkritiker bescheinigt Kliemann, ein bedeutendes zeitgenössisches Werk geschrieben zu haben; eine Filmgesellschaft plant, „Hotel Lux“ auf Zelluloid zu bringen; Kleinstadt-Honoratioren geben Empfänge, auf denen sich der DDR-Autor als gelehriger Schüler erweist: „Kliemanns Pranke schon beim Hinausgehen unterm hübschen Gesäß der Lady.“ Aber so eine DDR-Autor -spezifische Animalität schreckt natürlich vor nichts zurück: zuerst nimmt sich Kliemann die Lebensgefährtin seines Mentors zur Geliebten; dann schwängert er auch noch dessen Tochter. Der dermaßen von Kliemanns Animalität Gebeutelte erklärt sich sein Schicksal schließlich mythologisch: „Meine Herstellung eines ausbeutbaren Literaturmarkt-Artikels namens Boris Kliemann folgt dem Grundmuster Pygmalion„; was natürlich bedeutet, daß mit der „Rache des Produkts an seinem Produzenten“ zu rechnen ist. So mir nichts, dir nichts, ergibt sich ein Literaturkritiker nicht in sein Schicksal: der Ich-Erzähler intrigiert was das Zeug hält. Allein: Kliemann weiß sich inzwischen auch ohne seinen Literatur-Manager erstaunlich gut in Szene zu setzen; außerdem ist er längst zum Hätschelkind der Feuilletonisten geworden. Aber auf den westlichen Literaturbetrieb ist schließlich doch Verlaß. Ein Autoren-Lesewettbewerb im hohen Norden wird Kliemann zum Verhängnis. Über den schon als sicheren Gewinner gehandelten, spricht der ihm einst so gewogene Großkritiker ein vernichtendes Urteil. Die Wirkung dieses Richtspruchs ist verheerend: Filmrechte werden storniert; die Feuilletonisten sprechen plötzlich vom „Fall“ Kliemann; „Hotel Lux“ liegt wie Blei in den Buchläden. Kliemann versteht die Welt nicht mehr. An Seele und Leib gebrochen, robbt er gen hessisch-thüringischen Grenzzaun und verheddert sich dort, worauf eine Selbstschußanlage gnädig den Rest besorgt. - Ein deutsch-deutsches Dichter-Schicksal ist in Erfüllung gegangen; wozu ebenfalls gehört, daß in den Nekrologen wieder ehrfürchtig vom Romancier Kliemann gesprochen werden darf. Aber auch dem Ich-Erzähler widerfährt Genugtuung; darf er doch die Ex-Geliebte des Großkritikers, der nebenher seltene Erotica und minderjährige Blondinen sammelt, sein eigen nennen. Ende gut, alles gut.

Es ist offensichtlich: Rolf Schneider arbeitet mit grellen Typisierungen. Und da der satirische Zweck bekanntlich alle Mittel heiligt, greift der Autor tief in die Requisitenkiste der Trivialliteratur und versucht sich als Klischeekonfektionär. Aber wer zu solchen Mitteln greift, den bringen sie manchmal um. Den Figuren fehlt genau jenes Eigenleben, das den Leser überzeugen könnte, es mit einer satirisch-höhnischen Mimesis der Wirklichkeit zu tun zu haben. Es ist einfach problematisch, eine Erzählung, die sich in satirischer Absicht der Stil- und Handlungsebene des Trivialromans bedient, auf 220 Seiten auszudehnen: was 20 bis 30 Seiten lang als virtuos perfekte Imitation mit Genuß gelesen werden kann, ödet, aufs vier- bis fünffache gedehnt, sehr rasch an. Wenn der auf Seite 14 nach Berlin fliegende Ich-Erzähler die Reize einer Stewardeß mit den Worten beschreibt: „Ihr flaches Gesicht hatte einen ostasiatischen Zuschnitt, sie lächelte zu ihren Vorführübungen aus sinnlichen Katzenaugen“, so mag das auf Seite 14 noch hingehen; auch noch, daß es ihn übermannt: „Erregung sickerte mir in die schlaffen Oberschenkel.“ Ein Erzähler, der auf Seite 210 immer noch so spricht, geht einem hingegen auf den Wecker. Nur dem Leser? Oder auch dem Autor? Die Zustandsbeschreibung des Erzählers: „Ich zog meine Kreise durchs angewärmte Chlorwasser (...) und versuchte aus meinem ächzenden Gehirn einige Sätze über die Stadttheaterpremiere von Shakespeares Kaufmann von Venedig zu melken“, ist durchaus als Eingeständnis des Autors deutbar, daß er vor dem Niveau seiner Figuren kapituliert hat. Auf jeden Fall ist es schade, daß der Autor ein so heikles Thema an die Trivialliteratur verschenkte. Andererseits ist dann auch nicht mehr so tragisch, daß der Zeitlauf auf die Überholspur ging und Rolf Schneiders neuesten Gegenwartsroman ziemlich alt aussehen läßt.

Bernd-Erich Wöhrle

Rolf Schneider: Jede Seele auf Erden. Roman. Paul Zsolnay -Verlag. Wien-Darmstadt 1990, 214 Seiten geb. 19,80 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen