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Schirrmacher trifft auf WalserNicht mehr recht haben müssen

Nach dem Eklat um "Tod eines Kritikers" kamen Schirrmacher und Walser erstmals zusammen. Walser ärgerte sich über den Zwang, recht haben zu müssen. Eine Versöhnung misslang.

Wollte die Versöhnung und kriegte sie nicht hin: Martin Walser. Bild: dpa

Am Ende einer langen, heftigen, zum teil schreiend geführten Diskussion las Martin Walser ein paar Passagen aus seiner Novelle "Mein Jenseits". Den ersten Satz - "Je älter man wird, desto mehr empfiehlt es sich, darauf zu achten, wie man auf andere wirkt" - las er mit Blick und demonstrativem Nicken in Richtung des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher. Gelächter im Raum.

Das wiederholte sich kurz darauf, als er nickend und blickend las: "Dass ich im Unrecht bin, das zeigt nur, dass er jünger ist und noch glaubt, recht zu haben sei möglich." Später dann, in kleiner Runde und ohne Schirrmacher, bedauerte Walser den Verlauf des Abends, der ihn permanent dazu gezwungen habe, recht haben zu müssen. Dabei wollte er sich auf seine älteren Tage doch nie, nie, nie mehr in Situationen begeben, in denen man recht haben muss.

Aber Martin Walser hat es selbst so gewollt. Er hatte sich im "Studio LCB", der Sendereihe des Deutschlandfunks, neben dem Literaturwissenschaftler Heinz Ludwig Arnold den FAZ-Chef als Gesprächspartner gewünscht und dabei auf so etwas wie eine Versöhnungsmöglichkeit gehofft. Die hat sich an diesem Abend zerschlagen.

Schirrmacher hatte 2002 in Sachen Reich-Ranicki und "Tod eines Kritikers" jenen offenen Brief geschrieben, der Walser in den Ruf eines Antisemiten brachte. Dass beide nun wieder an einem Tisch saßen, war bereits ein Ereignis, das Schirrmacher gegenüber Reich-Ranicki in Erklärungsnot bringen dürfte.

Reich-Ranicki, Walser und die FAZ - das ist eine endlose Geschichte, für die man sich nicht interessieren müsste, wenn sie nicht exemplarisch vom Verhältnis zwischen Autor und Kritiker handeln würde, von der deutsch-jüdischen Erinnerungs-Zwangsgemeinschaft, von Macht im Literaturbetrieb und von Verletzlichkeit, die ja das Kapital eines jeden Autors ist. Der jetzt erschienene dritte Band von Walsers Tagebüchern umfasst die Jahre 1974 bis 1978 und damit jenes Ereignis, das 2002 in dem Roman "Tod eines Kritikers" gipfelte.

Reich-Ranicki schrieb 1976 zu Walsers "Jenseits der Liebe" eine jenseits aller Literaturkritik angesiedelte Besprechung mit dem Titel "Jenseits der Literatur". Sie war mehr Vernichtung als Kritik und begann mit dem Satz: "Ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman." Walsers Tagebuch wird in der Folge, wie Moderator Denis Scheck meinte, zum "Protokoll einer Verwundung", die tatsächlich bis heute nicht überwunden ist.

Das bewies der Verlauf dieses Abends und Walsers Lesung, die er fast ausschließlich mit Reich-Ranicki-Stellen bestritt. Genugtuung und eine gewisse Angstlust waren ihm anzumerken, in Schirrmachers Gegenwart vorzutragen, wie er damals fantasierte, Reich-Ranicki für die nächste Begegnung eine Ohrfeige anzudrohen: "Sie werden, bitte, nicht auch noch die Geschmacklosigkeit haben, diese Ankündigung und ihre gelegentliche Ausführung als Antisemitismus zu bezeichnen."

Heiterkeit im Publikum. Schirrmacher deutete in seiner Mimik eine Stimmungslage an, die zwischen Gequältheit, Überdruss, Ekel, Erstaunen, Trauer, Milde, angenehmer und unangenehmer Berührtheit schwankte. Er äußerte sein Unverständnis darüber, dass Walser so exzessiv an dieser Kränkung festgehalten habe. "Pathologisch" fand er das - eine Diagnose, die Walser als neuerliche Beleidigung verstand: "Sie nennen das krankhaft, aber das ist existenziell!"

Kritik als Machtausübung

Schirrmacher ging in die Offensive: Er wünsche sich auch heute mehr solcher Kritiken wie die von Reich-Ranicki - und rief damit ein sekundenlanges lähmendes Entsetzen im Publikum und auf dem Podium hervor. Der Kritik mangle es an Reich-Ranicki-hafter Entschiedenheit, behauptete er mutig. Dabei ist, wie zuletzt der Fall Hegemann belegt, doch wohl eher das Gegenteil wahr: Literaturkritik neigt zu hypertrophen Urteilen, weil nur das Absolute, der Superlativ, Aufmerksamkeit erzeugt.

"Sie sind quotensüchtig und quotenabhängig", schrie Martin Walser und nannte Schirrmacher einen "Machthaber". Reich-Ranickis Besprechung habe er damals nicht als Kritik, sondern als Machtausübung empfunden. Reich-Ranicki aber habe geglaubt, ihn durch den Verriss zu einem besseren Autor gemacht zu haben, der zwei Jahre später, dank dieser Belehrung, mit "Ein fliehendes Pferd" seinen größten Erfolg zustande brachte.

"Das", sagte Walser, "ist eine maßlose Selbstüberschätzung." Dagegen setzte er seine Wunschvorstellung einer auf Zustimmung basierenden Kritik, nicht väterlich streng, sondern mütterlich liebevoll - ein Szenario, das bei den Gesprächspartnern auf berechtigte Ablehnung stieß: Ein Feuilleton mit nichts als mütterlicher Zustimmung wollte niemand lesen müssen.

In "Mein Jenseits" kommt der Satz vor: "Laut schreien liegt mir nicht." Das gilt auch für die Tagebücher, die so etwas wie ein stilles Schreien zustande bringen - jedenfalls, solange sie nicht publiziert wurden. Doch wenn er in die Öffentlichkeit gelangt, wird auch der leise Schrei laut. Das konnte man an diesem Abend hören.

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3 Kommentare

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  • A
    anke

    Je älter man wird, desto mehr VERBIETET es sich, darauf zu achten, wie man auf andere wirkt. Schließlich erlebt fast jeder Mensch mit den Jahren Dinge, die eine eigene Meinung nicht nur begründen, sondern sogar unumgänglich machen können.

     

    Die beiden Herren, deren Zwist hier verhandelt wird, gehören (Altersunterschied hin oder her) ein und derselben Generation an. Einer Generation, die noch Wert darauf legte, auf jeden, der dem gefühlten Establishment etwas galt, gleichermaßen überzeugend zu wirken. Menschen unter Vierzig könne derartige Bestrebungen kaum noch nachvollziehen. Sie lesen kaum FAZ und die Ergüsse irgendwelcher Großkritiker schon gar nicht. Für den Kulturbetrieb des alten Zuschnittes interessieren sie sich, wenn überhaupt, höchstens am Rande. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Walser und Reich-Ranicki Seite an Seite zu den Akten geheftet werden, wo sie in Ruhe verstauben können. Und wenn die FAZ sich nicht rechtzeitig emanzipiert von Männern ihres Schlages, wird weder das Internet noch irgendein bislang noch nicht eingeführtes neues Format sie retten können.

  • MR
    Martin Runow

    Man kann die FAZ meiden, sie schmähen, hassen gar - vorbei kommt man an ihr nicht - schon gar nicht, wenn man wie Martin Walser zu den Kulturschaffenden gehört. Und Frank Schirrmacher, der Herausgeber der FAZ ist tatsächlich eine "Größe" an der ein Autor wie Walser sich "abarbeiten" kann.

     

    Als Literatur interessierter Mensch habe ich über alle Jahre das Geschehen auf dem Literaturmarkt einigermaßen mitverfolgt, deshalb wage ich die Behauptung: Marcel Reich-Ranicki hat in all den Jahren seines aktiven Eingreifens in die Litera-turszene durch seine oft unverschämten, aggressiven und meist sehr unsachlichen sog. Literaturkritiken, seinen hemmungslosen Verrissen, vor allem aber auch mit seinem "Literarischen Quartett", das uns gott-seidank heute erspart bleibt, mehr dem Literatur-betrieb geschadet als genützt.

    Sein oft unangemessenes und auch falsches "Urteil" über das Schaffen einzelner Autoren hat zu einer großen Verunsicherung bei all jenen Lesern geführt, die selbst nur Leser waren - und sonst nichts mit Literatur zu tun hatten.

     

    Und denke ich zurück, so staune ich noch immer darüber, was da alles in aller Öffentlichkeit - im "Spiegel", in der FAZ, im Fernsehen und anders-wo - passierte. Da wurde Günter Grass' "Ein weites Feld" nicht nur verrissen, sondern regelrecht zerfleddert. Wer aber die Literatur liebt, sie als grundsätzliche gesitige Nahrung ansieht und nicht mehr von ihr lassen kann, seit er lesen lernte, der wird mir vielleicht beipflichten, wenn ich hier aufschreibe, daß alleine Grass' Roman "Ein weites Feld" den Nobelpreis, den Grass für sein Schaffen bekam, rechtfertigen würde.

     

    Gewiß, wie bei Grass so auch bei Walser und allen anderen Autoren, die eine Vielzahl von Büchern geschrieben haben, gibt es Unterschiede - Unter-schiede im Sujet, in der "Konstruktion" der Geschichten, Unterschiede auch in den Verkaufs-zahlen ihrer Bücher, weil ja auch der Leserge-schmack, die Leserinteressen nicht ohne Einfluß bleiben. Literaturkritiker haben da schon eine wichtige Aufgabe: Sie können Literur befördern - und damit einen Autoren groß und "reich" machen - oder aber sie werten Literatur ab und befördern sie in die Tonne des Minderwertigen, wie man es in der Litertursendung mit Denis Scheck erleben kann.

     

    Die Dominanz von Reich-Ranicki aber, die über viele Jahre den Literaturbetrieb steuerte, auch wenn das immer wieder in Abrede gestellt wurde, die war für die deutsche Literatur und ihre Autoren, ob sie nun Martin Walser oder Günter Grass hießen, gelinde gesagt, eine einzige Katastrophe, weil es dabei niemals um die schriftstellerische Qualität, um die ästhetischen oder gar um die moralischen Ansprüche eines Autor und seines Buches ging, sondern durch-weg um Meinungsmanupulation, um die ideologsiche Steuerung des Denkens und Fühlens der Leser im Sinne der kapitalistischen Gesellschaft - und natürlich auch heute noch immer geht. Und da in dieser verdammten kapitalistischen Gesellschaft das Geld, das große Geld, Maßstab aller Dinge ist - und nicht der Mensch - bleibt auch die Literatur, die Kultur auf der Strecke. Hegemanns "Axolottl Roat-kill" ist des gegenwärtig aktuelle Beispiel, das meine Position belegt: Dekadenz in immer ausge-prägterem Maße hat längst auch im Literaturbetrieb Einzug gehalten. Dekadenz als Ausdruck des Kultur-verfalls, den man täglich überall beobachten kann. Wer das anders sieht, der schalte das Fernsehen ein! Und diese zunehmende Dekadenz ist keineswegs nur bei den privaten Sendeanstalten, sondern längst auch bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern zu beobachten - und das nicht erst seit gestern und vorgestern, sondern schon seit vielen Jahren.

    Die Meinungsmaupulation greift immere deutlicher ums sich - und sie muß es auch; denn schließlich geht es um sehr viel. Herr Westerwelle macht's vor, wie das auch in aller Öffentlichkeit und sogar in unserem deutschen Parlament funktioniert: Teile und herrsche - das war schon immer eine Waffe gegen all jene, die sich erhoben, Kritik an diesem System zu üben. Nun bin ich fast überzeugt, daß weder Martin Walser noch Günter Grass am System in dieser Weise Kritik üben wollten. Aber was sie schrieben, wurde als solche ausgelegt. Und deshalb gerieten sie in die Schußlinie jener falschen Propheten wie Schirr-macher oder Reich-Ranicki. Und auf den Literatur-betrieb bezogen erfüllt auch der alterssenile Hellmuth Karasseck diese Funktion, während Denis Scheck, den ich oben erwähnte, doch sehr dezident vorgeht, so daß man seiner Auswahl, was ein lesens-wertes Buch ist, ohne große Mühe folgen kann.

     

    Und ich werde niemals die Sendung des "Literari-schen Quartetts" vergessen, - ich glaube, es war sogar eine Sondersendung des "Literarischen Quartetts" zum 50. Todestages Bertolt Brechts, nachdem diese Sendereihe längst eingestellt war -

    in der B. Brecht als bedeutender politischer Lyriker total abgewertet wurde - von Reich-Ranicki und Hellmuth Karaseck! - Nur seine Liebeslyrik hob man in den Vordergrund, die es natürlich auch gibt. Und ist das nicht erstaunlich, daß auch noch 50 Jahre nach Brechts Tod die Angst vor seinem lyri-schen wie auch dramatischen Schaffen umgeht? Senilkonfuse Kritiker wie Reich-Ranicki und der sabbernde Karasseck finden keinen anderen Ansatz, als Brechts wunderbare politische Lyrik und sein herausragendes dramatisches Schaffen abzuwerten und den längst Verstorbenen auch noch 50 Jahre nach seinem Tod in den Schmutz zu ziehen. Was für eine Dekadenz!

  • S
    Stefan

    Das ist Journalismus: der Autor des taz-Artikels ist gleichzeitig derjenige, der den Anmerkungsapparat für Walsers Tagebücher erstellt hat, über die er jetzt hier schreibt - und das alles wird mit keiner Silbe erwähnt. D a s ist Literaturbetrieb, ergo:korrupt.