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Schippern muskelfrei

Ausflugsfahrten über die Alster gelten als bequem, Selbstpaddler dagegen als einsam  ■ Von Judith Weber

Wenn alle in einem Boot sitzen, kann das anstrengend werden für den, der das Boot lenkt – und für den, der die Insassen unterhalten muß. Nach zwei Touristenfahrten durch die Hamburger Alsterfleete jedenfalls ist Kapitän Karl-Heinz Wielage geschafft. Zweimal hundert Leute haben er und sein Kollege Heyo Domke jeweils zwei Stunden lang durch Hamburgs Wasserstraßen kutschiert. Erst die französischen Schulklassen „und dann solche, die kamen schon besoffen aufs Schiff“.

Nach dem fünften Astra interessieren sich die Fahrgäste erfahrungsgemäß nicht mehr dafür, daß die Alster 56 Kilometer lang ist und daß Schiffe mit einem runden Bug schneller fahren als solche, die vorne spitz sind. Im Gegensatz zu jener Stuttgarter Familie am Nebentisch, die mit den Fingern auf dem Stadtplan die Reiseroute nachzieht. Kein Wort wollen die Eltern sich entgehen lassen von dem, was Heyo Domke am Mikrofon erzählt.

„Der Inhalt der Binnenalster entspricht genau dem täglichen Wasserverbrauch Hamburgs“, setzt er an, während auf den Bänken leise gequengelt wird. „Ich muß mal Pipi“, meldet sich der fünfjährige Michael. Seine Schwester will noch ein Duplo. Von der Fleetfahrt sind beide enttäuscht – Schiffe, so groß wie ein Hochhaus hatten sie sehen wollen. Nur deshalb haben ihre Eltern die Tour ausgesucht. Sie hätten schließlich auch einen anderen Törn buchen können: eine Rund- oder Kreuzfahrt auf der Alster beispielsweise, eine Tour über die Niederelbe oder durch die Kanäle. Für 27 Mark pro Person hätte die Familie in die Vierlande nach Bergedorf schippern können oder in drei Stunden durch die Alsterteiche. Vom sogenannten Dämmertörn ganz zu schweigen, dessen MitfahrerInnen Hamburg bei Nacht umkreisen.

Michael ist erst wieder versöhnt, als das Fleetboot, die „Quarteerslüüd“, im Grasbrookhafen ankommt. Da liegen endlich „dicke Schiffe“. Der Motor tuckert, Kapitän Wielage macht Würstchen heiß, und ein Münchner verheddert sich in der Patentfaltung seines Stadtplans. „Laß mich, ich will zuhören“, herrscht er seinen hilfswilligen Freund an. Schließlich habe er Hamburg bisher nur vom Mietauto aus erlebt.

Die Alternative zur organisierten Gruppenverschiffung wäre gewesen, selber zu paddeln. Kanus oder Tretboote kommen in den Seitenkanälen der Außenalster fast 54 Kilometer weit. Die Wasserarme wurden einst als Transportwege für die Industrie gebuddelt. Wer darauf fährt, hat den Uferblick fast exklusiv.

Den FleetfahrerInnen scheint das Angebot trotzdem wenig verlockend: Selber rudern? Ein Münchner rümpft die Nase. Da mag es noch so beschaulich sein auf den Seitenkanälen der Außenalster und auch weniger gedrängt – auf dem Ausflugsschiff mit Dach, Klo und Ziehharmonika-Musik sei doch alles „viel bequemer“.

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