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Schimpf vor acht

■ Stoffpuppe Karlchen motzt, poltert und nörgelt auf RTLplus täglich 90 Sekunden live

Während der Kabarettist Matthias Richling vor der Ausgewogenheitsmaschinerie der ARD kapitulierte und seinen wöchentlichen „Satirehappen“ Jetzt schlägt's Richling aufgab, kann sich Kanalarbeiter Karlchen von RTLplus nur verwundert an die lange Stoffnase fassen, und der Mann in seinem Schatten hat gut lachen. Björn Schimpf, gelernter Journalist, vormals Rundfunk-, jetzt TV-Moderator, darf der von ihm geführten Handpuppe Karlchen zwar nur eine bis anderthalb Minuten lang offene Worte von der Hand in den Mund legen, dafür aber täglich und zur besten Sendezeit, einige Minuten nach sieben, zwischen RTL aktuell und dem Wetter. Damit liefert der Kölner Privatsender eine Portion Fernsehfrechheit, von der sich manch öffentlich-rechtliche Redaktion noch ein Scheibchen abschneiden könnte. Anders als Richlings bettlägeriger Michel ist Karlchen, der keinesfalls mit seinem Ziehvater Björn Schimpf verwechselt werden sollte, ein eher bodenständiger Charakter. Die Herkunft von der Küste hört man ihm unschwer an, er redet eben, wie ihm die Schnabelnase gewachsen ist. Je nach Tagesform und nach Qualität der Nachrichten sind Karlchens Kommentare salopp oder sarkastisch, im Plauderton gehalten oder heftige Tiraden. Da bezeichnet der kleine Zottel den Bundesverteidigungsminister Stoltenberg schon mal als „Schnullermund“, der den Kampfpanzer Leopard für einen Fernsehstar aus Bayern hält; US-amerikanische Politiker bekommen für ihre unqualifizierten Äußerungen über Gorbatschows Innenpolitik das Prädikat „Laberheinis“ aufgedrückt, und Kanzler Kohls Eintreten für die Wiedervereinigung wird angesichts seiner früheren Haltung zu den Ostverträgen kurzerhand als „Treppenwitz“ abgetan.

Seit den frühesten Anfängen des Senders ist Karlchen dabei, ebenso Björn Schimpf. Er gehört schon zu der Entwicklungsgruppe, die das TV-Programm des Luxemburger Senders vorzubereiten hatte. Ein Trainingsregisseur, der zuvor einige Jahre bei der Sesamstraße engagiert gewesen war, brachte die heute als Karlchen bekannte Puppe mit ins Team. Etwas voreilig und „mit Restalkohol im Blut“ erwähnte Schimpf, daß er als Kind einmal mit Handpuppen gespielt habe - „da hatte ich das Ding am Hals!“. Schimpf entwarf den Charakter der Puppe, den er wie folgt beschreibt: „Frech, besserwisserisch gegenüber vor allen Dingen Prominenten, opportunistisch, immer scharf auf Mädels, aber typisch Maulhuber: Immer wenn sie in seine Nähe kommen, wird er ohnmächtig.“

Seither steht Schimpf - es sei denn, er ist als Moderator der Reisesendung Ein Tag wie kein anderer unterwegs von montags bis freitags allabendlich hinter den Kameras, wenn seine KollegInnen von der Nachrichtenredaktion die Meldungen des Tages verlesen, und macht sich Notizen. Danach kriecht er hinter die Puppenbühne vis a vis der RTL -aktuell-Dekoration und läßt Karlchen auf das Fernsehvölkchen los. Meist greift Karlchen dann ein oder mehrere Themen der Nachrichtensendung auf, hakt nach, kommentiert und nörgelt und motzt auch schon mal die Bildregie an, wenn sie seinen Namen zu klein ins Bild rückt. Dabei braucht er Sanktionen nicht zu befürchten. Welche Themen er ausläßt, bestimmt Björn Schimpf allein: „Tabus das ist das, was ich dann als Schere im Kopf bezeichne. Ich würde mich nie hinsetzen und jetzt auf Minderheiten einschlagen oder rassistische Dinge verbreiten, sondern im Gegenteil, dagegen kämpft Karlchen natürlich.“

Interventionen gegen Karlchens mitunter deutliche Worte hat es bislang noch nicht gegeben, wohl aber ZuschauerInnenbriefe, dem Vorurteil Folge leistend natürlich aus Bayern. Karlchen hatte in Sachen Quellensteuer gegen die Ausnahmeregelung für die Kirche gewettert, und prompt fühlte sich jemand auf den Rosenkranz getreten. Chefetage und Werbewirtschaft ficht so etwas allerdings nicht an. Im Gegenteil: Einige Agenturen erkundigten sich nach der Möglichkleit, in Karlchens Sendung Sponsoren unterzubringen, und boten sogar schriftliche Garantien, selbst bei scharfen Attacken gegen ihre Kunden inhaltlich keinen Einfluß nehmen zu wollen. Dennoch wurde ihr Ansinnen zurückgewiesen. Die Werbeagenturen, so Schimpf, „sind froh, wenn mal was Ungewöhnliches passiert. Warum sitzen denn die ganzen Werber in Deutschland transusig in der Gegend herum und freuen sich auf die Cannes-Rolle und über die Frechheiten, die da angeboten werden... Und dann machen sie wieder für Metzger Müller eine Werbekampagne mit der Frischwurst.“

Nachdem Karlchen bereits bei der Verleihung der RTL -Löwen in der Dortmunder Westfalenhalle vor 15.000 Leuten sowie als Gaststar in Alles nichts oder auftreten durfte, gibt es nunmehr Überlegungen, den kleinen Kerl mit der Moderation einer „Art Talkshow“ zu betrauen. Das genaue Konzept unterliegt noch der Geheimhaltung, allein eine Konkurrenzsendung für Dall-As soll es keinesfalls werden. Wenn der brummelnde Maulheld seine respektlose Impertinenz in diese neue Sendung hinüberretten kann, vielleicht sogar noch zulegt, und die richtigen Leute mit ihr konfrontiert werden, wenn er auch weiterhin das Medium zum Thema Macht und Regisseur und Kameraleute in seine Rüpeleien einbezieht, kann die neue Show eigentlich nur gut werden.

Harald Keller

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