: Schiffschaukelbremser
60 Umweltminister und die Klimakatastrophe ■ K O M M E N T A R E
Das größte physikalische Experiment, das jemals von Menschen vorgenommen wurde, vollzieht sich gegenwärtig auf und „über“ dem Planeten Erde. Unfreiwillig, aber nicht bewußt-los. Es wird weltweit erprobt, wie das natürliche Klimasystem durch eine immer dichtere Treibgas-Glocke um den Erdball möglichst gründlich zum Absturz gebracht werden kann. Das Ergebnis kennt niemand. Als vorweggenommenes Szenario kennt es jeder: Alle ernst zu nehmenden Wissenschaftler warnen vor der „Verheizung des Planeten“ und sehen durch den Treibhauseffekt gravierende Auswirkungen bis hin zu den bekannten Katastrophen-Visionen. Unter dem Eindruck dieser Visionen ist die drohende Veränderung des globalen Klimas inzwischen zur relevantesten umweltpolitischen Herausforderung geworden. Die politischen Akteure haben diese Herausforderung ausdrücklich angenommen. Das Bekenntnis zu „einschneidenden“, „weltweiten“, „umfassenden“, „schnell zu ergreifenden“ Maßnahmen auf dem Pariser Weltwirtschaftsgipfel und die Epidemie der Klimakonferenzen, Klimakommissionen und Klimaszenarien sind Ausdruck dieses Problembewußtseins. Doch die Umsetzung dieses Bewußtseins in eine konkrete Klima-Politik wird von einer unglaublich Ignoranz blockiert.
Die Nicht-Beschlüsse auf dem niederländischen Klima-Gipfel sind der bisherige Höhepunkt der Politikunfähigkeit der Umweltminister aller Länder. Die seit Jahren eingeschliffene Haltung, Umweltpolitik als Reparaturbetrieb zu definieren und Umweltkrisen solange sich selbst zu überlassen, bis direkt erfahrbare Auswirkungen spürbar sind, hat in Noordijk eine deprimierende Neuauflage erlebt. Die Industrienationen USA, UdSSR, Japan und Großbritannien verweigern mit virtuosen Ausreden ein konkretes Programm zur Reduktion des Kohlendioxids. Sie werden es solange verweigern, wie Klima -Ereignisse noch als Wetterkapriolen innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite abgetan werden können. Solange bleiben Dürren, Sintflut und Wirbelstürme Schicksalsschläge, solange gilt die „Bringschuld der Wissenschaft“.
Die Umweltminister setzen auf „business as usual“. Parallel zum wachsenden Druck der Öffentlichkeit soll ganz gemütlich und ohne jemandem weh zu tun die komplizierte Maschinerie einer veränderten Verkehrs-, Energie-, und Industriepolitik aufgebaut werden. Nur: Das Klima läßt sich nicht aussitzen. Klimaverschiebungen verhalten sich wie ein Ozeantanker. Selbst wenn alle Motoren auf Null stehen, fährt das Schiff mit ungeheurer Kraft fast ungebremst weiter. Klima läßt sich nicht mit linearem Denken und schon gar nicht mit dem üblichen politischen Denken begreifen. Klimaentwicklungen können sprunghaft sein, können kritische Schwellenwerte beinhalten. Und nochmal: Die Schadstoffe von 1989 sind die Klimakiller von 1999.
Zehn Jahre vorauszudenken waren offenbar zehn Jahre zuviel für die 60 Schiffschaukelbremser, die sich im milden niederländischen November schöne Tage machten.
Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen