: Schiffbruch für die Billigkähne?
■ Bremen, Schleswig-Holstein, DAG und ÖTV klagen gegen „Zweitregister“
dem Reeder deutsche Schiffe mit ausländischen Besatzungen fahren lassen
Der Betrieb von Seelenverkäufern unter deutscher Flagge soll ein Ende haben. Das jedenfalls fordern die Gewerkschaften ÖTV und DAG und die Bundesländer Bremen und Schleswig-Holstein. Mit einer Verfassungsbeschwerde der Gewerkschaften und einer Normenkontrollklage der Länder wollen die Kritiker das umstrittene Gesetz über das deutsche „Zweitregister“ zu Fall bringen. (siehe Seite 7). Bremens Häfensenator Uwe Beckmeyer vertrat gestern vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Meinung der Kläger.
„Das Zweitregister hat sein Ziel verfehlt“, meinte Beckmeyer. Denn die 1989 eingeführte Regelung mit dem offiziellen Namen „Internationales Schiffsregister“ (ISR) erlaubt es Reedereien, nur noch die Offiziere eines Schiffes mit deutschen Patenten anzustellen und die Mannschaft zu den Tarifbedingungen der Heimatländer anzuheuern. So sollte der Trend der deutschen Handelsflotte zum Ausflaggen (dem Management der Schiffe unter der Hoheit von Staaten wie Liberia, Panama oder Zypern) gestoppt werden. Da aber habe das Gesetz versagt, meinte Beckmeyer: „Die Gesamtzahl der Schiffe unter deutscher Flagge hat sich seit Einführung des ISR weiter verringert, und zwar von 950 (1989) auf 833 Schiffe (1994). 1990 wurden acht, 1991 27, 1992 47 und 1993 52 Schiffe ausgeflaggt. Seit Einführung des ISR sind etwa 3.000 deutsche Arbeitsplätze für Seeleuten verloren gegangen.“ Das Gesetz verstößt nach der Ansicht der Kläger gegen die Grundrechte auf Koalitionsfreiheit (ausländische Seeleute können deutschen Gewerkschaften nicht beitreten), Berufsfreiheit (deutsche Seeleute bekommen kaum noch eine Anstellung) und das Gleichheitsgebot (gleiche Arbeit wird ungleich entlohnt: Ein pakistanischer Matrose bekommt 300 Dollar für die Arbeit, die sein deutscher Kollege für 3.000 Mark macht).
Ali Memon von der ÖTV Weser/Ems: „Matrosen aus Indien oder Rußland arbeiten ohne Sozialversicherung oder Urlaub, 12 Stunden am Tag. Oft haben sie zwischen 1.000 und 3.000 Dollar für die Vermittlung der Arbeit gezahlt und brauchen zwei Jahre an Deck, bis sie das abzahlen können. Die Mannschaften sind so zusammengewürfelt, daß sie sich durch verschiedene Sprachen, Religionen und Mentalitäten kaum verständigen können.“
Das Zweitregister ist nach Ansicht der Kläger auch ein Sicherheitsrisiko: Matrosen aus unterentwickelten Ländern seien oft nicht ausgebildet und mit der Bedienung eines high-tech-Schiffes schlicht überfordert. „Bei Unfällen heißt es dann: menschliches Versagen, aber das deckt alles zu“, sagt Memon.
Den Vorwürfen gegen das Zweitregister widerspricht Ralf Schneider vom „Verband Deutscher Reeder“ (VDR) in Hamburg. „Ohne die Regelung wären wesentlich mehr Schiffe ausgeflaggt worden. So sind tausende qualifizierter Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen gerettet worden.“ Von knapp 700 Handelsschiffen unter deutscher Regie fahren etwa 400 unter fremden Flaggen, 270 sind Zweitregister-Schiffe, nur noch etwa 30 fahren unter deutschen Tarifbestimmungen. „Ein solches Schiff kostet uns im Schnitt jährlich 3 Millionen, im Zweitregister sind es knapp 2 Millionen, ausgeflaggt ist es nur 1 Million.“ Schneider betont, an Bord der Zweitregister-Schiffe herrschten deutsche Sicherheitsstandards, die von deutschen Behörden und Berufsgenossenschaften überprüft und nicht moniert würden. „Und der Lohn, den wir den Leuten zahlen, ist für deren Verhältnisse eine sehr gute Bezahlung.“ Zugenommen hätten die Ausflaggungen vor allem, als die Subventionen und Steuererleichterungen für die deutschen Reeder in den letzten Jahren gekürzt wurden.
Die Reeder verweisen auf die Praxis in den anderen europäischen Staaten, die der deutschen ähnelt. Außerdem haben sie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Rücken, der festgestellt hat, das Zweitregister verstoße nicht gegen das EU-Recht. Rund 100 Millionen an Subventionen bekommen die deutschen Reeder nach Angaben von Schneider jährlich vom Staat, um die deutsche Handelsflotte über Wasser zu halten. Beckmeyer hat in Karlsruhe gefordert, die Reedereien steuerlich weiter zu entlasten und die Subventionen zu erhöhen. „Das kann der ruhig fordern, es ist ja nicht sein Geld, sondern kommt vom Bund“, meint Schneider.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Ende des Jahres erwartet wird, soll nach dem Willen der Kläger entweder das Zweitregister ganz versenken oder wenigstens soziale Mindeststandards für die Beschäftigten festschreiben. Für die Reeder allerdings ist die Konsequenz aus einem solchen Urteil bereits klar: „Dann würden alle Schiffe ausgeflaggt“, droht Ralf Schneider. bpo
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