■ Kommentar: Schienbeintreter
Eine schallende Backpfeife hatte das Bundesverfassungsgericht der Hamburger Rechtsprechung im März erteilt: Sitzblockaden auf Straßen sind keine Nötigung. Jetzt haben sich Richter und Schöffen des Landgerichts mit einem trickreichen Tritt vors Schienbein revanchiert. Denn mit der Verfahrenseinstellung ist die Schuldzuweisung nicht aufgehoben. Alle noch anhängigen und künftigen Nötigungsverfahren dürfen den gleichen Marsch durch die angeblich so überlasteten Gerichte antreten.
Wenn es nicht zur Einstellung, sondern zu einer Entscheidung gekommen wäre, wollte das Hamburger Gericht sich ausgerechnet auf eine Verurteilung kurdischer Autobahnblockierer durch den Bundesgerichtshof berufen. – Doch wenn man schon jeden Einzelfall prüfen will, muß die Frage erlaubt sein, ob nicht über Stau gesprochen werden müßte. Wäre der Verkehr zur Rush-Hour auf der Stresemannstraße nicht sowieso zum Erliegen gekommen? Kann man bei einem Stau-Schneckentempo von einem Kilometer pro Stunde und einem Straßen-Sit-In von 15 Minuten überhaupt von „blockieren“ sprechen? Oder von einem unverdienten Unterhaltungsprogramm für unbelehrbare Auto-Fetischisten?
Wenn das eine nötigende Blockade des Fließverkehrs war, muß auch über die FußgängerInnen gesprochen werden: Vom vorbeirauschenden Verkehr wird die Bewegungsfreiheit des Zweibeiners an der Bordsteinkante jäh unterbrochen. Können dann demnächst Blechkisten-BesitzerInnen und Ampelanlagen wegen Nötigung zum Stehenbleiben verklagt werden?
Heike Haarhoff/ Silke Mertins
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