: Schicksalsschlacht Flexibilisierung
Mit einem Generalstreik wollen Spaniens Gewerkschaften heute gegen die tiefgreifende Reform des Arbeitsrechts protestieren / Gonzalez will keinen Rückzieher machen ■ Aus Madrid Alexander Gschwind
Diesmal will Felipe Gonzalez hart bleiben. Änderungen an der gerade verabschiedeten Reform des Arbeitsrechts, gegen die die Gewerkschaften des Landes am heutigen Donnerstag mit einem Generalstreik protestieren wollen, kommen für den sozialistischen Regierungschef Spaniens nicht in Frage. Er ließ die Gewerkschaftsbosse bereits im Vorfeld wissen, daß er sich auch durch einen völligen Stillstand des öffentlichen Lebens nicht zu einem Rückzieher veranlaßt sehe. Und niemand in Spanien zweifelt an seinen Worten. Schon einmal, am 14. Dezember 1988, legte ein Generalstreik inmitten einer Phase der Hochkonjunktur das ganze Land lahm. Damals dachte Gonzalez an einen Rücktritt und machte den Gewerkschaften Zugeständnisse. An den Eckpunkten der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Sozialisten hat sich freilich seither nicht das Geringste geändert.
Sozialpakt gescheitert
Anlaß für den Aufruf der Gewerkschaften ist ein weitreichender Eingriff in das spanische Arbeitsrecht. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihnen die von einheimischen Unternehmern und ausländischen Investoren forcierte Verwässerung des Kündigungsschutzes. Feste Tarifverträge sollen künftig auch in Spanien flexibleren, vor allem billigeren Arbeitsverhältnissen weichen. Außerdem bedroht ein neuer „Lehrlingsvertrag“ die Position älterer Arbeitnehmer: Jungen Leuten bis 25 Jahren ohne Berufsabschluß sollen Jobs verschafft werden zu weniger als dem gesetzlich fixierten Mindestlohn. Die Regierung, so Gonzalez, sei verpflichtet, bei ihren Maßnahmen gegen die immens hohe Arbeitslosigkeit von 17,5 Prozent vor allem für die Jugendlichen etwas zu tun, bei denen 40 von 100 vergeblich nach einem Job suchten.
Seit September hatten Wirtschaftsminister Solbes und Arbeitsminister Griñán mit Gewerkschaftern und Unternehmern ohne Erfolg über einen Sozialpakt verhandelt. Mit einem dreijährigen Lohnstopp im öffentlichen Dienst samt halbiertem Inflationsausgleich zeigten sie gleich zu Beginn die Marschrichtung an. Unter Hinweis auf Ratschläge der OECD und des Internationalen Währungsfonds IWF machten die Regierungsvertreter das starre Arbeitsrecht zum Sündenbock für den zunehmenden Rückzug ausländischer Investoren aus Spanien. Weil festangestellte Mitarbeiter dort bislang nur mit Zustimmung von Arbeitsministerium und Betriebsrat entlassen werden durften, außerdem für jedes Dienstjahr eine Entschädigung von mindestens 20 Lohntagen gesetzlicher Mindestsatz war, würde, so die Argumentation, die Halbinsel als Produktionsstandort laufend an Interesse verlieren. Dadurch bekäme das Land die weltweite Wirtschaftskrise noch schmerzlicher zu spüren als seine Nachbarn, ja liefe Gefahr, gar den Anschluß an die europäische Wirtschafts- und Währungsunion im Jahre 1997 zu verpassen.
Daß am dramatischen Absturz der spanischen Wirtschaft in den letzten 15 Monaten die jahrelange Hochzins- und Verschuldungspolitik der Regierung Gonzalez einen ebenso großen Anteil hatte wie die kurzsichtige Verschleuderung europäischer Entwicklungskredite für Prestigeprojekte, wie etwa die Weltausstellung in Sevilla, den Hochgeschwindigkeitszug AVE oder die Olympischen Spiele von Barcelona, wurde geflissentlich verdrängt. So endeten die Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern schon Ende November in der Sackgasse.
Verspäteter Arbeitskampf
Während die Unternehmer ihre Hände in Unschuld wuschen und die Arbeitsreform als halbherziges Flickwerk abtaten, versuchen die Gewerkschaften sie nun mit dem Verzweiflungsakt des Generalstreiks zu bekämpfen. Allerdings kommt dieser Arbeitskampf reichlich spät. Die Lockerung des Kündigungsschutzes und der neue Ausbildungsvertrag erhielten bereits letzten Freitag mit 92 Prozent Jastimmen den Segen des Parlaments. Dabei kam die Zustimmung von allen Parteien, mit Ausnahme des grün-kommunistischen Bündnisses der Vereinigten Linken (Izquierda Unida) und der kanarischen Autonomisten (Coalicion Canaria). Der Konservativen Volkspartei, der baskischen Nationalpartei und den katalanischen Regionalisten von Convergencia i Unio ging die sozialistische Vorlage nicht weit genug; nach ihrer Vorstellung bedarf Spanien zur Wiederherstellung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines noch viel weiter gehenden Sozialabbaus. Die großen Gewerkschaftsverbände UGT (sozialistisch) und COOO (kommunistisch) hat die parlamentarische Einmütigkeit vom letzten Freitag zu heftigen Attacken gegen die Volksvertreter veranlaßt. „Das Parlament handelt mit dem Rücken zur Gesellschaft“, wetterte UGT-Chef Nicolas Redondo. Bei den unmittelbar Betroffenen stößt der Streikaufruf allerdings auf wenig Begeisterung. Krisenbedingte Verunsicherung, Entlassungsängste und die Undurchschaubarkeit des Reformprojektes wirken sich hemmend auf ihren Kampfwillen aus. Außerdem wurde das öffentliche Interesse in den letzten Wochen völlig vom Zusammenbruch des Bankhauses Banesto und vom Skandal um dessen eitlen Vorstandsvorsitzenden Mario Conde in Anspruch genommen.
So wurde der Generalstreik erst durch die Betriebsversammlungen der letzten Tage und die erfolglosen Verhandlungen über ein Mindestangebot im öffentlichen Verkehr am Streiktag wieder zum Thema. Weil der Transport zum Arbeitsplatz mangels Einigung auch in dieser Frage nicht gesichert ist, wird sich die Streikbilanz nach bewährter Manier mit inzidentellem Blaumachen aufpolieren lassen. Laut Umfragen hält nur ein Drittel der Spanier den Streik unter den gegebenen Umständen für sinnvoll. Immerhin fast die Hälfte äußert Verständnis dafür, und etwa zwei Drittel glauben gar an einen Erfolg.
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