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■ Niedergang des Teppichhandels: Es muß mit allem gerechnet werden!Schicksal im Faltblatt

Orient, glückseliger Orient! Land der Moscheen und der Minarette, Land der sagenumwobenen Paläste und des märchenhaften Luxus, Land der hängenden Gärten und der fliegenden Teppiche! Knüpfkunstwerke aus Täbriz und Isfahan, fliegt ins Herz des Abendlandes und seid uns willkommen, seid dem geistigen Auge des deutschen Wohnungseinrichters vorschwebende Traumteppiche, auf daß sein Heim zu einer Stätte schwelgerischen Wohlbefindens umgestaltet werde!

Doch wie die kunstreichen Knotenvliese an den kundigen Kunden verhökern? Der Handel mit Teppichen erfordert mehr als schnödes Cash-&-Carry-Wesen. Es ist ein Gewerbe, das von den uralten Traditionen orientalischer Basare lebt. Den Part des Märchenerzählers übernehmen heute die bunten Werbebeilagen der Tageszeitungen.

Mit Sorge jedoch beobachtet der Liebhaber der von orientalischer Kinderhand hergestellten Knotenkunst den seit Jahren anhaltenden Niedergang des hiesigen Teppichhandels. Ein ganzer Wirtschaftszweig scheint da unter die Räder beziehungsweise unter den Hammer zu kommen: Räumungsverkäufe, Preisreduzierungen bis zu 68 Prozent, Liquidationsangebote zu absoluten Limitpreisen und Zwangsversteigerungen unter der Leitung vereidigter und öffentlich bestellter Auktionatoren sind leider an der bundesrepublikanischen Tagesordnung.

Ohne die in anderen Branchen übliche Heimlichtuerei werden da Lagerbestände ohne Rücksicht auf die Einstandspreise radikal bereinigt.

Nichts wird dabei unter den Teppich gekehrt, in schonungsloser Offenheit werden die oftmals verschlungenen Ursachen des geschäftlichen Niedergangs vor dem Publikum aufgerollt: „Aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse mußte der Geschäftsbetrieb abrupt eingestellt werden. Die hohen finanziellen Verpflichtungen, die in diesen Tagen zu regeln sind, dulden keinen Aufschub.“ erklärt da ein bekanntes Importhaus. „Zur Abwendung möglicher Vollstreckungsmaßnahmen müssen jetzt zur Regulierung Hunderte echter Orientteppiche zu jedem nur im entferntesten annehmbaren Preis versteigert werden, bis die Forderungen der Gläubiger getilgt sind. Teppiche in allen Größen und aus allen bedeutenden Provenienzen kommen jetzt radikal unter den Hammer.

Wie kann das möglich sein, wird mancher sich fragen. Die Antwort gibt einer der renommiertesten Importeure: „Im Geschäftsleben gibt es Situationen, in denen man sich Gegebenheiten beugen muß.“ Oder, um mit den Worten eines weiteren Sachverständigen zu sprechen: „Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.“ Rechtzeitiges, entschlossenes Losschlagen ist ja schon seit alters her die oberste Maxime der Teppichhändlerschaft.

Aber was wäre ein Märchen aus 1001 Nacht ohne die dramatische Wendung ins menschlich Schicksalhafte, ja geradezu Kismetische: Bärbel Herbert, Inhaberin eines „seriösen deutschen Teppichhauses“, läßt per Faltblatt der Schicksalsgemeinschaft deutscher Teppichkäufer verkünden: „Die schwere Krankheit der Inhaberin – es muß mit allem gerechnet werden – hat nunmehr dazu geführt, daß das Unternehmen jetzt gezwungen ist, den Geschäftsbetrieb aufzugeben, damit die finanziellen Verbindlichkeiten beglichen werden können.

Drei Monate später – der Geschäftsbetrieb ist offenbar immer noch nicht eingestellt – werden unter der Schlagzeile „Die Zeit läuft“ neue Details über Bärbels Gesundheitszustand bekannt: „Aus gesundheitlichen Gründen – weitere, schwerwiegende Operationen sind nötig – konnte die Inhaberin die Geschäftsaufgabe nicht verhindern.“ Doch zu einem kleinen Räumungsverkauf reichte es gerade noch...

Insgesamt aber werden wir Zeuge der tragischen Geschichte vom Aufstieg und Fall eines der großen Orient-Teppich-Fachhandels-Unternehmen unseres Landes.

Als Liebhaber gehobener Wohnkultur wie orientalischer Verstrickungen aller Art wollen wir hoffen, daß Krankheitsbilder Bärbelscher Dimensionen nicht epidemisch den bundesdeutschen Teppichhandel befallen und in die chronische Liquidation treiben mögen. Denn – beim Barte des Propheten – wir brauchen euch auch fürderhin, Brücken zwischen Wohnzimmer und Hobbyraum, zwischen Orient und Okzident! Rüdiger Kind

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