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Scheue Schönheiten

■ Die DDR-Hundedamen in der Leistungsschau

In der Turnhalle des Rudower Sportvereins fand vergangenen Mittwoch die erste deutsch-deutsche Leistungs- und Vergleichsschau der Gesamtberliner Hundezüchter statt. 400 herausgeputzte Tiere samt Herrchen und Frauchen hatten sich im lichtdurchfluteten Großraum versammelt. Riesenjubel, als der Vorsitzende des Westberliner Hundezüchtervereins während seiner Eröffnungsrede ausrief: »Ich muß gestehen, ihr in der DDR habt die schönsten Pudeldamen der Welt.« Bellende Buhrufe hingegen für sein nächstes Bekenntnis: »Ihr habt aber auch die häßlichsten Dobermänner der Welt.«

Das war gemein, doch ein Blick in die Tiermenge bestätigt diese Erkenntnis vorbehaltslos. Während die Ostdobermänner ihre gestutzten Ohren und Minischwänze ebenso ungeniert zur Schau trugen wie ihre aus sehnigen Flanken ragenden, stachligen Beine, bot das Gros der Ostpudeldamen eine Augenweide. Wer es sich leisten konnte, trug glattrasierte Hinterteile; luftige Brusthaare und Kopffrisuren waren entzückend und, wenn auch nicht gewagt, immerhin auffallend frech. Welch ein Kontrast zu ihrem Erscheinungsbild auf den Gassistrecken der Republik.

Die bei der Leistungs- und Vergleichsschau so leuchtenden Augen sind dort nämlich meist scheu zu Boden gerichtet. DDR-Pudeldamen halten dem Blick ihrer Herrchen nicht lange stand. Im sogenannten Goldhamster- und Hundestaat der DDR erfüllen sie weit mehr typische Pudeldamenklischees als ihre Schwestern im Westen: verkrampft an der Hundeleine hängend, vornübergebeugt und mit leerem Blick dem Herrchen hinterhertrottend.

Nein, diese Pudeldamen sind, Ausnahmen bestätigen die Regel, nicht aufregend, versprühen keinen Rammel-Appeal. Das hat nichts mit Äußerlichkeiten zu tun — in der DDR sind die Pudeldamen so dick und so schlank, so groß und so klein wie im Westen auch. Es hängt auch nicht von der Kleidung oder der Haartracht ab. Die spießige Dauerwelle gehört bei den jungen Pudeldamen der Vergangenheit an, und auch das von den Ostberliner Zwergpudeldamen benutzte Plastehalsband gleicht nicht mehr dem einer oberbayerischen Möpsin. Es ist die Ausdrucksleere der Augen, es ist der lethargische Blick, der die Vorstellung verhindert, diese Wesen könnten nicht nur geduldig Gassi gehen und Gassi machen, sondern auch eine interessante Persönlichkeit darstellen, selbstbewußtes Tier sein oder die Rammelinitiative ergreifen. Die Ostpudeldame jammert zwar, so ist zu hören und zu lesen, über die Phantasielosigkeit der Ostdobermänner beim Decken. Aber: Steht das nicht auch ihr geradezu in die niedliche Schnauze geschrieben? Die typische DDR-Pudeldame dürfte Ausstellungskataloge renommierter Tierschauen allein als pornographischen Schweinkram empfinden, würde sich von Zwingerrammlern angewidert abwenden und ausgewiesene Zucht- und Deckrüden verschmähen.

Nur langsam kommt Besserung in Sicht, besonders wenn es dunkel wird in Ost-Berlin. Dann fängt man sich am Gatter der Hundeauslaufgebiete auch schon mal einen tiefen Blick ein, und dort tollen die Pudeldamen nicht mehr ganz so verhalten umher, präsentieren sie ihre Schönheit mit lockerer Bewegung. Dobermänner werden daraufhin taxiert, ob sie als Rammler was hergeben, nicht nur als sicherer Bestandteil fürs Familienglück. Ach, wie wunderbar, jetzt ein Westdobermann zu sein. Drallinger

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