■ Das Portrait: Scheich Yassin
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Foto: Reuter
Scheich Achmed Yassin, geistiger Führer der palästinensischen islamistischen „Hamas“-Bewegung in den von Israel besetzten Gebieten, dessen Freilassung die Entführer des gestern tot aufgefundenen israelischen Grenzsoldaten gefordert haben, wurde im Oktober 1991 von einem Militärgericht zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt. Seit seiner Verhaftung befindet sich der kranke und seit seiner Kindheit gelähmte 56jährige Scheich aus Gaza und Vater von elf Kindern in strenger Isolationshaft in verschiedenen Gefängnissen auf israelischem Boden. Er wurde nach seiner letzten Verhaftung am 18.Mai 1989 für die Ermordung von zwei israelischen Soldaten mitverantwortlich gemacht.
Scheich Yassin hat keine formelle religiöse Ausbildung erhalten und ist von Beruf Lehrer. In den Jahren seiner Lehrtätigkeit verschaffte sich der Autodidakt ein großes Wissen auf dem Gebiet des Islam und wurde bald als erfahrener Berater der Bevölkerung in religiösen und allgemeinen Lebensfragen bekannt. So setzte sich seine ausgesprochen charismatische Persönlichkeit bei weiten Kreisen der lokalen und Flüchtlingsbevölkerung trotz der Lähmung durch, die den Scheich zu einem ständigen Dasein im Rollstuhl verurteilt. Seine ärmliche Wohnung in der Stadt Gaza wurde zur vielbesuchten Beratungsstelle für Menschen, die Hilfe in allen möglichen Lebensfragen suchten.
Im scharfen Wettbewerb mit der PLO einerseits und mit dem radikaleren islamistischen „Dschihad“ andererseits sah sich der Kreis um Scheich Yassin, der den ägyptischen Muslimbrüdern nahesteht und aus dem im Dezember 1987 mit Beginn der Intifada Hamas hervorging, gezwungen, seinerseits eine bewaffnete Untergrundgruppe ins Leben zu rufen. 1988 wurden die Grundsätze der neuen Bewegung analog zur PLO in einer Charta festgelegt. Im Zuge des Palästinenseraufstandes dehnte sich Hamas bald auch auf die Westbank aus und nahm den Konkurrenzkampf zur PLO auf.
Während der Gefängnisjahre verschlimmerte sich der Gesundheitszustand des invaliden Scheichs Yassin, der jetzt an einer Reihe schwerer Erkrankungen leidet und zu erblinden droht. Scheich Yassins Freilassung aus Gesundheitsgründen wird von vielen verschiedenen politischen Kreisen der palästinensischen Bevölkerung gefordert. Amos Wollin
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