: Schauspieler sind Sänger
■ Eine Begegnung mit Blixa Bargeld, dem Mephisto Werner Schwabs
Manche Konstellation leuchtet unmittelbar ein. Daß aber ausgerechnet Werner Schwab sich an einer Faust-Paraphrase versucht, gehört sicher nicht dazu. Viel zu sehr verbindet sich mit dem in der vergangenen Silvesternacht verstorbenen österreichischen Dramatiker eine ganz eigene Formensprache, als daß man mit ihm die Klassiker in Verbindung brächte (und würde man nicht sowieso jeden, der sich an den Faust-Stoff wagte, scheel angucken?).
Daß aber, da Werner Schwab mit Faust:: Mein Brustkorb: Mein Heim seine Auseinandersetzung mit Faust nun mal geschrieben hat, niemand anderes als Blixa Bargeld die Rolle des Mephisto übernimmt, das ist im nachhinein so klar, als könnte es keine andere Möglichkeit geben. Warum das nun allerdings so ist, steht wieder auf einem anderen Blatt. Natürlich hat der Frontmann der Einstürzenden Neubauten etwas Mephistotelisches. Aber da muß noch mehr sein. Liegt es vielleicht an einem vergleichbaren Umgang mit der Sprache?
Also fragte der Reporter den im Foyer des Mariott-Hotels vor ihm sitzenden Blixa Bargeld, ob er Gemeinsamkeiten zwischen seiner und Werner Schwabs Sprache sehe – und hatte dabei zwei Kleinigkeiten nicht bedacht: daß zum einen, egal was man über Schwab aufschnappt, die Dominanz des Themas Sprache in seinen Texten bestimmt dabei ist; zum anderen, daß so ein Promi auf Promotour mehr als ein Interview zu geben pflegt. Beides wurde ihm bei Bargelds niederschmetternder Antwort sofort klar: „Das ist jetzt mein viertes Interview heute. In jedem dieser Interviews habe ich diese Frage gehört. Ich weiß aber nach wie vor nicht recht, was ich dazu sagen soll. Natürlich ist für mich die Beschäftigung mit Sprache nichts Neues, und es ist auch eine Materie, die mir Befriedigung verschafft. Aber ich mag da jetzt keine Vergleiche anstellen. Natürlich ist meine Sprache auch hermetisch, oder wie immer man das bezeichnen möchte...“
Eine halb hilflose, halb mitleidige Handbewegung beendet den Satz. Blixa Bargeld ist beinhart entschlossen, die lokale Presse in Gestalt des Reporters anläßlich seines Auftritts als Schwabs Mephisto beim heute Abend beginnenden Gastspiel auf Kampnagel professionell über sich ergehen zu lassen. Aber der Presse mehr geben, als der Presse ist, will er auch nicht. Zumal ihm schon sein Respekt vor Schwab verbietet, verkürzend über dessen Theateransatz zu sprechen: „Alles, was ich dazu sagen könnte, wäre rein spekulativ.“
Also mußte der Reporter die Klärung der Beziehung Bargelds zu Schwab zukünftigen Seminararbeiten überlassen, um sich den auf der Hand liegenden Fragen zuzuwenden. Und Bargeld gab geduldig Auskunft. Ja, es stimmt, Schwab habe zuerst die Einstürzenden Neubauten gefragt, ob sie mitmachen wollten, und erst dann das Stück geschrieben. Ja, Schwabs Faust-Paraphrase bezieht sich tatsächlich auf Goethes Faust. Ja, Thomas Thieme sei Schwabs Wunschregisseur gewesen. Ja, die Einstürzenden Neubauten spielen die ganze Zeit über Musik, „aber es gibt keinen Punkt, an dem die Musik den Text stört“. Ja, er habe eine Amerikatournee mit Nick Cave für dieses Stück abgesagt. Nein, er wird auf gar keinen Fall so tun, als wäre er ein Schauspieler.
Moment, wenn er kein Schauspieler sein will, was macht er denn dann? „Ich gehe vom Text aus und in zweiter Linie vom Text und in dritter auch noch vom Text. Ich mache den Text, und ich glaube, daß ist für ein Stück von Schwab gar nicht die falscheste Herangehensweise. Es gibt sogar sehr viele Sachen, die Schauspieler verlernen müssen. Es geht nicht um Mephistos Kindheitstrauma, nicht um Identifikation oder Psychologie. Es geht in erster Linie um den Text. Den Text im vollsten Verständnis zu sprechen, das ist das Beste, was man damit machen kann.“
Möglicherweise liegt in dieser Aussage der Grund, weshalb man sich bei einem Schwab-Stück nicht wundert, Blixa Bargeld auf dem Besetzungszettel zu sehen. Weil nämlich auf dem Schwabschen Kontinent nicht Blixa Bargeld sich dem Theater anpassen muß, sondern das Theater von sich aus Raum läßt für eine Präsenz des Textes, die man auch von dem Sänger Bargeld gewohnt ist. Daß Regisseur Thomas Thieme den Schauspielern geraten habe, den Text wie Musik zu behandeln, hat Bargeld noch erzählt, und daß insofern bei der Aufführung alle Schauspieler, also auch die gestandenen Theaterwesen Peter Minetti (Wagner, Der alte Faust), Kurt Naumann (Der jüngere Faust) und Jennifer Minetti (Marthe Schwerdtlein), zu Sängern werden.
Eine Aussage zeigt dann, daß es doch Berührungspunkte zwischen seiner Sprache und der Werner Schwabs geben muß. Bargeld: „Das Praktische an diesem Stück ist, daß mir fast jeder Satz auf der Zunge zergeht. Ich kann mich mit dem Text enorm anfreunden. Es macht mir ausgesprochen Freude zu sagen, was ich da sage.“
Dirk Knipphals
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