piwik no script img

Schauspieler gegen Kleiderständer

Roger Michells Spielfilm „Spurwechsel“ wäre gern ein Rachedrama, scheitert aber am Gewissen der Figuren

Die politisch korrekte Variante von „Ein Mann sieht rot“ scheint nicht machbar

Da wird was weggeschwätzt in „Spurwechsel“. Im Großraumbüro, in Gerichtssälen, in Restaurants und in Autos, zwischen Geschäftspartnern und Ehegatten, zwischen Feinden und Freunden, auf Ämtern, bei den Anonymen Alkoholikern – überall wird geplappert und palavert, lamentiert und diskutiert. Aber „Changing Lanes“ ist nicht etwa der neue Film von Eric Rohmer, sondern will eine Geschichte erzählen von Vergeltung und Verzweiflung, eine Geschichte, in der zwei Männer auf ihre niedersten Instinkte reduziert werden. Ihr Mundwerk aber will nicht still stehen. Das kann durchaus zum Problem werden, wenn man sonst so tut, als sei man Rachedrama und Fallstudie.

Dazu müssen sich die Pfade von Ben Affleck als erfolgreichem Junganwalt Gavin und Samuel L. Jackson als arbeitslosem Exalkoholiker Doyle auf dem New Yorker Franklin-D.-Roosevelt-Drive unsanft kreuzen. Doyle fährt in einen Reifenstapel, Gavin bietet einen Blankoscheck als Kompensation, Doyle lehnt ab, Gavin braust davon, Doyle verpasst einen wichtigen Gerichtstermin, Gavin verliert ein wichtiges Dokument. Nun heißt es: Wasp gegen Arbeiterklasse, Weiß gegen Schwarz, Manhattan gegen Queens, Wall Street gegen Sozialamt, Reich gegen Arm. Es ist ein ungleiches Duell zwischen Gavin und Doyle. Noch unfairer aber ist der Vergleich zwischen Jackson und Affleck, zwischen Schauspieler und Kleiderständer. Affleck spielt immer die Type Affleck, den jungenhaften Zauderer. Jackson, ob Profikiller oder Yedi-Ritter, füllt eine Rolle aus.

Jeder der beiden Männer, so viel ist schnell klar, wird am Ende dieses Tages, der nicht zufällig ein Karfreitag ist, alles verloren haben, was ihm bislang wichtig erschien. Oder: So sollte es sein, so hätte es enden sollen. Wäre da nicht dieses ständige Geschnatter. Denn anstatt dass sich die beiden ungleichen Kontrahenten nach dem altbewährten Gesetzen von Aktion und Reaktion immer weiter gegenseitig ins Verderben treiben, bis schließlich beide am Boden liegen, bekommen sowohl Gavin als auch Boyle nach jeder Boshaftigkeit allzu schnell ein schlechtes Gewissen.

Kaum hat Gavin per Mausklick Boyle zum komplett kreditunwürdigen Bürger mutieren lassen, stürzt er auch schon in die Bank, um seinen Fehler zerknirscht wieder zu korrigieren. Als Doyle die Radmuttern an Gavins Wagen löst und dieser dann tatsächlich einen Unfall baut, ist Doyle untröstlich. Sieht ganz so aus, als sei eine politisch korrekte Variante von „Ein Mann sieht rot“ nicht machbar.

Der britische Hollywood-Debutant Roger Michell hat vor drei Jahren mit „Notting Hill“ bewiesen, dass er halbwegs stilsicher, vor allem aber massenkompatibel inszenieren kann. Auch in „Spurwechsel“ benutzt er mit solide in Szene gesetzten Verfolgungsjagden und langen Brennweiten im New Yorker Regen die einschlägigen Versatzstücke. Trotzdem scheint es mitunter so, als hätte Michell lieber wieder eine Komödie gedreht. So wird die angelegte Eskalation niemals konsequent zu Ende gedacht. Ohne echte Bösewichter bleibt das Rachemotiv schal. Schlussendlich müssen die beiden Seniorpartner in Gavins Kanzlei diesen Part übernehmen und eine arg populistische Moral vermitteln: Erfolgreiche Juristerei verdirbt den Charakter. Und schlimmer: verleidet zum Schwafeln.

THOMAS WINKLER

„Spurwechsel“, Regie: Roger Michell. Mit Samuel L. Jackson, Ben Affleck, Toni Collette u. a. USA 2002, 99 Minuten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen