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Schaukelpolitik der rumänischen Führung

■ Rat der Front zur Nationalen Rettung will Demokratisierung vorantreiben / Neue Gruppierungen werden künftig mitentscheiden / Neues Wahlsystem beschlossen / Referendum über Todesstrafe und KP-Verbot abgesagt

Bukarest (dpa/taz) - Mit klärenden Grundsatzbeschlüssen zu Verfassungsrecht, Wahlsystem und innerer Entscheidungskompetenz hat der rund 150 Mitglieder zählende Rat der Front zur Nationalen Rettung die Grundlagen für eine Demokratisierung der rumänischen Politik gelegt. Das bisher selbstherrlich entscheidende elfköpfige Exekutivkomitee des Rates wurde in seine Schranken verwiesen: Jeder seiner politischen Entschlüsse muß künftig dem Rat zur endgültigen Entscheidung vorgelegt werden. Dieser Entscheidung vorausgegangen war der Schlingerkurs der politischen Führung, die unter dem Eindruck der Demonstrationen in der Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe und des Verbots der Kommunistischen Partei widersprüchliche Entscheidungen getroffen und wieder widerrufen hatte. So sollte die Todesstrafe am vergangenen Freitagabend noch wiedereingeführt werden, nach einer Ankündigung vom Tag danach jedoch sollte ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen. Vorgestern schließlich hat die Übergangsregierung die Referenden wieder annulliert. Damit bleibt die Todesstrafe abgeschafft, und die KP ist nicht verboten.

Der Rat der Front zwang darüber hinaus die beiden Medienstars des Exekutivkomitees - Ratsvorsitzender und Staatspräsident Ion Iliescu und sein Erster Stellvertreter Dumitru Mazilu - und Regierungschef Petre Roman zu öffentlicher Selbstkritik. Insbesondere der frühere Securitate-Ausbilder Mazilu, der sich zwar als UNO -Botschafter in den vergangenen Jahren als Kritiker von Ceausescu hervorgetan hatte, mußte Federn lassen. Viele Rumänen hatten dem Vize des Exekutivkomitees des Rates schon Putschgelüste unterstellt. So konnte sich Mazilu nur noch verteidigen, indem er zugab, „schuldiger als die anderen“ zu sein, weil er unter dem Druck der Massen ein Dekret verfälscht habe.

Weitere Sanktionen gab es bis gestern nicht. Statt dessen setzten die Ratsmitglieder auf Schulterschluß, um den destabilisierenden Eiertanz zu beenden. Die Prinzipien des Grundrechts auf Leben und das Recht auf Bildung jeglicher Partei wurden bekräftigt. Mit seinem Beschluß zum Wahlsystem setzte der Rat der bisherigen Führungsriege eine weitere hohe Schranke: Denn er hielt ausdrücklich fest, daß die bisher völlig von den Entscheidungen ausgeschlossenen neuen Parteien über alle politischen Fragen ausnahmslos mitentscheiden sollen. Das Parlament soll nach den bisherigen Vorstellungen des Rats zukünftig aus zwei Kammern bestehen, der Abgeordnetenversammlung und dem Senat. Die strikte Gewaltenteilung im Staat ist in dem Entwurf des Gesetzes ebenso festgelegt wie die Direktwahl eines Staatspräsidenten durch die Bevölkerung.

Bei den Beschlüssen um das Wahlsystem zeigte sich aber auch, daß die liberalen Intellektuellen im Rat weiter mit einem starken potentiellen Gegner rechnen müssen: dem Militär. Ratsmitglieder machten deutlich, daß einige Generäle die Streitkräfte im künftigen rumänischen Parlament sehen wollen - als Lohn für den Einsatz in der Revolution. Offiziere regieren bereits vorübergehend in einigen Städten wie in der Banater Hauptstadt Temeswar, wo die provisorische Verwaltung der Front zur Nationalen Rettung bei den Bürgern auf Widerstand stieß. Gerade in Temeswar war die örtliche Front von vielen Vertretern es alten Regimes durchsetzt.

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