: Schattenspringen
■ Jaruzelski symbolisiert Polens Übergang nahezu perfekt
General Jaruzelski ist sicher nicht der Traumpräsident der Polen, und seine Wahl hat das auch mehr als deutlich gezeigt. Mit einer Stimme Mehrheit - klarer konnte man nicht aufzeigen, daß der General gerade noch in den eigenen Reihen mehrheitsfähig ist. Sicher aber nicht in der Bevölkerung. Dennoch ist er der richtige Kandidat in dieser Situation. Jene Oppositionsvertreter, die laut davon träumten, in geheimer Abstimmung Lech Walesa durchzuboxen, sollten sich überlegen, ob es wirklich von Vorteil ist, ein Staatsoberhaupt zu haben, das an die Hebel der Macht nicht herankommt, weil es von Sicherheitsapparat und Militär und mindestens der Hälfte der Warschauer-Pakt-Staaten boykottiert würde.
Jaruzelski dagegen hat bewiesen, daß er in Polizei und Armee für die Ruhe sorgen kann, die für einen evolutionären Übergang zur Demokratie nötig ist. Und da auch maßgebliche Oppositionsvertreter der Ansicht sind, daß es derzeit noch zu früh wäre, würde die Partei auseinanderfallen, ist er auch derjenige, der als Integrationsfigur den schleichenden Verfall der PVAP noch eine Weile aufhalten kann.
Zugegeben, ein General, der am Einmarsch in die CSSR 1968, an der Niederschlagung der Arbeiterstreiks an der Küste 1970 beteiligt und für das Kriegsrecht 1981 verantwortlich ist, ist sicher nicht die beste Repräsentationsfigur für ein demokratisches Polen. Doch immerhin: Ein General, der auch für die Wiederzulassung der freien Gewerkschaft Solidarität, für das Zustandekommen des runden Tisches und die ersten relativ freien Wahlen in diesem Teil Europas verantwortlich ist, symbolisiert Polens Übergangssituation geradezu perfekt. Wer schließlich könnte ein System, das gerade über seinen Schatten springt, besser repräsentieren als ein Präsident, der gerade über seinen Schatten gesprungen ist? Und wer weiß, vielleicht, hoffentlich, ist er ja noch nicht das letzte Mal gesprungen...
Klaus Bachmann
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