piwik no script img

Schalke in der Männer-BundesligaBrüllen gegen den Abstieg

Beim 2:1-Heimerfolg der Schalker gegen Stuttgart entfaltet das Publikum seine besondere Wucht. Sie befördern beim Tabellenletzten neue Willenskraft.

In der großen Schalker Abstiegsschlacht gibt es nun die große Einheit Foto: Fabian Strauch

Gelsenkirchen taz | Eine recht spezielle Mischung aus Selbstironie und Selbstvertrauen lag in den Gesängen, die in der Schalker Arena erklangen, als der Nervenkitzel überstanden war. „Die Nummer eins im Pott sind wir“, sangen die Anhänger des Tabellenletzten wohlwissend, dass Borussia Dortmund aus der Nachbarstadt drei Stunden zuvor an die Spitze des Tableaus gesprungen war und auch der VfL Bochum weiterhin mehr Punkte hat. Aber zum einen stimmten die Schalker sich auf die anstehenden Revierderbys in Bochum und gegen den BVB ein, und zum anderen konnten sie sich in einer Kategorie tatsächlich wie die Nummer eins fühlen.

Die Zuschauerwucht, mit der Schalke 04 zu diesem überlebenswichtigen 2:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart angetrieben worden war, ist tatsächlich einzigartig. Selbst im gefeierten Dortmunder Westfalenstadion entstand etwas Ähnliches während der laufenden Saison nur in der Schlussphase der Partie gegen den FC Bayern, als Anthony Modeste in der Nachspielzeit das 2:2 köpfte. Der jetzt schon extreme Existenzkampf der Schalker setzt ein paar mehr Kräfte frei als die vage Hoffnung des erfolgsverwöhnten BVB auf den Titel. „Jeder, der im Stadion war, hat heute Gänsehaut bekommen“, spekulierte der Schalker Torhüter Ralf Fährmann, wahrscheinlich hatte er recht.

Vier Mal hatten die Schalker zuvor 0:0 gespielt, die exzellent herausgespielten Tore von Dominick Drexler (10.) und Marius Bülter (40.) nach wochenlanger Torabstinenz wurden daher gefeiert wie das erste Festmahl nach einer langen Fastenzeit. Und als in der Schlussphase die Angst vor dem Ausgleich und einem tragischen Drama das Stadion erfüllte, brüllten die 60.000 für ihre Mannschaft bei jedem Zweikampf, als gehe es ums Überleben.

Wissenschaftliche Studien nähren ja Zweifel am Einfluss des Publikums auf die Profis, wer derzeit jedoch Schalke 04 erlebt, kann nicht ernsthaft glauben, dass die Energien der Masse wirkungslos sind. „Es gibt vielleicht ein bisschen Angst, weil die Atmosphäre war sehr, sehr stark“, räumte Stuttgarts Borna Sousa, der zum 2:1 getroffen hatte (63.), ein, und VfB-Torhüter Fabian Bredlow sagte: „Die haben uns den Schneid abgekauft, die waren einfach giftiger als wir, die waren griffiger, die sind mit einer ganz anderen Intensität angelaufen.“

Willenskraft bedeutsam wie lange nicht

Ganz grundsätzlich durchläuft der Fußball derzeit eine Phase, in der Willenskraft, physische Stärke und die Bereitschaft, bedingungslos jeden Schritt zu machen, der der eigenen Mannschaft helfen könnte, bedeutsam sind wie lange nicht. Argentinien ist mit diesen Qualitäten Weltmeister geworden, Union Berlin und der SC Freiburg haben sich so zu Champions-League-Aspiranten entwickelt. Auch Borussia Dortmund gewinnt ein Spiel nach dem anderen, seit der Zeitgeist des Spiels auch von eher künstlerisch veranlagten Profis begriffen wurde, und der wild kämpfende FC Schalke, mit seiner aufgrund von finanziellen Zwängen improvisierten Verlierermannschaft ist plötzlich eine Bedrohung für jeden Konkurrenten in der Liga.

Am kommenden Samstag können sie in Bochum sogar aus eigener Kraft den letzten Tabellenplatz verlassen. „Es ist jetzt so, dass wir uns in eine gute Ausgangsposition gebracht haben“, sagte Trainer Thomas Reis, „wir haben heute den Anfang gemacht, den Grundstein gelegt.“

Flammende Reden

Nach der Partie, als die Spieler sich vor der Nordkurve feiern ließen, hielt ein Ultra mit Megafon eine Ansprache, in der die Spieler deutlich aufgefordert wurden, genau so weiterzumachen. Schon nach dem 1:6 gegen Leipzig im Januar waren 3.000 Fans zu einem Training gekommen, in dessen Rahmen ein mit Spendengeldern restaurierter Flutlichtmast des alten Parkstadions eingeweiht wurde, auch dort hielt ein Ultra eine flammende Rede. Das Team müsse gar nicht besonders toll Fußball spielen, aber „jedem Gegner zumindest den scheiß Rasen kaputt“ treten, hatte er gerufen.

„Wir als Mannschaft spüren, dass die Fans und die Region hinter uns stehen“, sagte Fährmann, dem nach vier Partien ohne Gegentor vor dem Anschlusstreffer des VfB ein schlimmer Fehler unterlaufen war. Hätte es nicht zum Sieg gereicht, wäre er die Hauptfigur eines tragischen Dramas geworden, so durfte er sich dank einiger guter Aktionen als Teil eines Heldenteams fühlen. Genau wie die Winterzugänge Michael Frey und Moritz Jenz oder der aufblühende Alex Kral sowie etliche andere Schalker. Der Revierklub hat nach einem Horrorhalbjahr zu sich selbst gefunden, sodass Tom Krauß schließlich in all der Emotionalität dieses Abends ein sehr nüchternes Resümee ziehen konnte: „Wir sind wieder im Geschäft.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!