Schalke in der Krise: Dynamik des Niedergangs
Schalke 04 blamiert sich gegen den Schlusslicht Fürth. Trainer Jens Keller steht schon nach vier Spielen in der Kritik – vor allem beim Publikum.
GELSENKIRCHEN taz | Jermaine Jones hat viel erlebt, seit er 2007 zum FC Schalke gewechselt ist, und am Samstagabend sah er den Moment gekommen, die Krise der Gegenwart mit Hilfe seines königsblauen Erfahrungsschatzes zu erklären. „Egal, welcher Trainer hier gewesen ist, am Anfang werden sie alle kritisiert, Rutten, Slomka, Büskens, jetzt Keller“, es sei „klar, dass die Mannschaft da verunsichert wird“, schimpfte Jones nach dem 1:2 gegen Greuther Fürth.
Man kann nun einwenden, dass eine derart stark besetzte Mannschaft wie Schalke den Tabellenletzten auch mit einem Trainer, der nicht über jeden Zweifel erhaben ist, schlagen sollte, aber Jones’ Anmerkungen machen deutlich, wie sehr das Team unter der miserablen Stimmung rund um den Klub leidet.
Bis zum Samstag hatten die Verantwortlichen ja noch behauptet, die verseuchte Atmosphäre sei eine Erfindung des missgünstigen Umfeldes, vier Punkte aus zwei Partien zum Rückrundenauftakt waren gar nicht so schlecht. Nach dieser Partie ist das Elend nun bittere Realität. „Beschämend“ fand Manager Horst Heldt den Auftritt der Mannschaft und sprach von einer „Katastrophe“. Nach nur einem mickrigen Pünktchen aus den Duellen gegen Augsburg und Fürth gehen den Schalkern die Argumente aus.
Zwar betonte Heldt erneut, dass Trainer Jens Keller „gute Arbeit“ verrichte, aber selbst wenn das stimmt, hat sich eine Dynamik ergeben, in der Keller mehr und mehr zum Problem wird. Das Publikum reagiert überkritisch und im medialen Umfeld der Gelsenkirchener hat das Misstrauen diesem Trainer gegenüber ein heikles Stadium erreicht.
Regelrecht „runtergepfiffen“
Als Keller den immer schwächer werdenden Publikumsliebling Julian Draxler aus der Partie nahm und Neuzugang Raffael einwechselte, hätten die Leute das Team und den Trainer „runtergepfiffen“, beschrieb Jones seine Empfindungen, dabei war der Wechsel nachvollziehbar. Raffael hatte gute Momente und traf sogar den Pfosten (87.). Die Arena auf Schalke war eben noch nie eine Hochburg des rationalen Sachverstandes.
Zwar wird immer wieder betont, welch ein wunderbarer Fachmann der 42-Jährige unter der Woche sei, „wir trainieren gut, ziehen alle an einem Strang und hatten eine gute Strategie“, behauptete Roman Neustädter. Aber in den vier Pflichtspielen unter Keller waren die Schalker nie die bessere Mannschaft. Für den einzigen Sieg, das merkwürdige 5:4 gegen Hannover, benötigten sie eine gewaltige Portion Glück, und nun stehen ebenso schwere wie bedeutsame Partien in München, in Mainz und in Istanbul an – und niemand weiß, wie die Dynamik des Niedergangs gestoppt werden soll.
Die Serie von nur einem Sieg aus den vergangenen neun Bundesligapartien beruht auf Problemen, die irgendwo in den Köpfen stecken. Die Qualität der Mannschaft ist jedenfalls nicht das Hauptproblem. Im Gegenteil. Gegen Fürth war zu sehen, dass der unbelastete Neuzugang Michel Bastos eine Bereicherung sein kann, nicht nur wegen seines wunderschönen Treffers zum 1:0 (47.). Auch Raffael deutete an, dass er den Schalkern helfen kann.
Schalke hat ein Abwehrproblem
Das Gerüst des Teams wurde im vergangenen Jahr immerhin Dritter in der Bundesliga und hat das Achtelfinale der Champions League erreicht. Aber im Moment gelingt es dem Trainer einfach nicht, die Potenziale zur Blüte zu bringen. Klaas-Jan Huntelaar wirkt wie eine schräge Kopie jenes Stürmers, der im Vorjahr für Schalke spielte, vor allem jedoch hat der Klub ein Abwehrproblem. Die Fürther Treffer fielen jeweils über Atsuto Uchidas rechte Seite, Joel Matip bleibt ein Unsicherheitsfaktor, grundsätzlich mangelt es an der richtigen Balance zwischen Offensive und Defensive.
Das haben die Fürther geschickt genutzt. „Es tut der Seele gut“, sagte der euphorisierte Gästetrainer Mike Büskens. Der Siegtreffer in der Nachspielzeit war der bislang schönste Moment der kurzen Fürther Bundesligahistorie.
Ein ähnlich befreiendes Erlebnis könnte das einzige Mittel sein, das auch die Schalker aus ihrer Depression retten kann. Einen weiteren Trainerwechsel schloss Manager Heldt nämlich aus. Zumindest vorerst.
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