: „Schafft mir die Polen vom Hals“
■ Zimmermann füllt das Sommerloch mit seinem alljährlichen Lamento über die „Flut der Asylbewerber“ / Zum x-ten Mal: Die BRD ist kein Einwanderungsland, und jetzt alle: „Die BRD ist kein Einwanderungsland“
Berlin (taz/dpa) - Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) hat ihn zum 95.Mal entdeckt, den „Höhepunkt der in Richtung Bundesrepublik donnernden Flutwelle des Asylantenstromes“. Bei gleichbleibendem Wetter erwartet Zimmermann in diesem Jahr über 100.000 Asylbewerber und damit eine ähnliche Rekordzahl wie in den Jahren 1980 und 1987. Wie der Mann am Samstag in Bonn mitteilte, wagten sich in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 39.885 in das Land, dessen Innenminister sich müht, die Grenzen und besonders den „Einreiseschwerpunkt Frankfurter Flughafen“ zu verrammeln.
Besonders ungeniert verhalten sich die Polen, mit 12.136 Personen die größte der Gruppe der Invasoren - gefolgt von den Türken und Jugoslawen, die mit 7.543 bzw. 5.251 Menschen einfielen. Aus dem Ostblock kamen fast 36 Prozent aller Asylsuchenden, bemerkte Zimmermann spitz. Sie hätten ebenso wie die fremden Heere aus dem Iran (3.784), dem Libanon (1.308) und Pakistan (1.139) eine gemeinsame Strategie: „Seit Jahren“, so Zimmermann, sei „die Bundesrepublik in Westeuropa Hauptziel der Asylbewerber“. Wenig beruhigen kann die Tatsache, daß 90,5 Prozent der Flüchtlinge nicht als Asylberechtigte anerkannt werden. Sie kommen „vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen“ und wollen sich hier durchfressen, wie jeder weiß. „Wirklich politisch Verfolgte“ seien nur 9,5 Prozent der Asylbewerber, rechnete der Minister vor. Vorschläge, wie man abgelehnte, aber viel zu oft „geduldete“ Fremdlinge loswerden kann, präsentierte Herr Zimmermann nicht. Immerhin wiederholte er das, was nicht oft genug gesagt werden kann: „Das Asylrecht darf nicht zum Einwanderungsrecht umfunktioniert werden. Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland.“ Der Minister versicherte, die Bundesregierung sei entschlossen, die „weitere Harmonisierung von Asylrecht und Asylpolitik im europäischen Rahmen voranzutreiben“.
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Hirsch, warf Zimmermann vor, mit den Zahlen die Diskussion aufzuheizen und die Bevölkerung in die Irre zu führen. Der Minister wisse genau, daß seit Bestehen der BRD erst 70.000 politische Flüchtlinge aufgenommen worden seien.
Hungerstreik in Berlin
In Berlin traten am Wochenende sechs Abschiebehäftlinge in den Hungerstreik. Sie protestierten gegen die seit dem 1. Juni in Kraft getretene, verschärfte „Gewahrsamsordnung“. Nach dieser könnten nur noch Verwandte die Häftlinge besuchen. Nach Angaben der Berliner Innenverwaltung seien zwar auch Rechtsvertreter und Hilfsorganisationen als Besucher zugelassen, doch obliege die Entscheidung dem Vollzugspersonal. So wurde die AL-nahe „Aktion Fluchtburg“ in den vergangenen Tagen nicht mehr hereingelassen. Dazu sagte der Pressesprecher der Innenverwaltung, die Aktion Fluchtburg sei keine „demokratische Organisation“, bei der es Vorstandswahlen gebe, sondern ein „Schlachtruf“. Die „Aktion Fluchtburg“ hat inzwischen eine einstweilige Anordnung auf Besuch beantragt.
Andere Restriktionen seien ein teilweises Fernsehverbot, ganztägiger Einschluß in den Zellen und Löschen der Beleuchtung jeweils um 22 Uhr (vorher 24 Uhr); schließlich dürfen die Abschiebehäftlinge tagsüber nur noch eine Stunde ins Freie. Nach Angaben der Polizei verweigerte am Sonntag jedoch nur noch einer der sechs jegliche Nahrung. Die anderen hätten zwar das Gefängnis-Essen zurückgewiesen, doch nahmen sie von Besuchern mitgebrachte Nahrungsmittel zu sich.
In der vergangenen Woche haben „Aktion Fluchtburg“ und die AL kurzfristig das Büro des CDU-Landesverbandes aus Protest gegen die geplante Abschiebung von 269 Libanesen besetzt.
peb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen