■ Italiens Verfassung und die Krise: Scalfaro spielt auf Zeit
Wenn die Regierung Dini stürzt, hat Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro ein paar Dinge zu tun, die ihm die Verfassung vorschreibt. Danach hat er mehrere politische Optionen offen.
Zuerst muß Scalfaro die Präsidenten von Senat und Deputiertenkammer hören; gewöhnlich holt das Staatsoberhaupt auch den Rat seiner noch lebenden Amtsvorgänger ein. Danach nimmt er Konsultationen mit den Delegationen aller 15 derzeit in den beiden Häusern des Parlaments vertretenen Fraktionen und Gruppen auf, um schließlich einen Kandidaten für die Nachfolge Dinis auszuwählen – es sei denn, er kommt bereits bei der ersten Runde zu dem Ergebnis, daß es auf keinen Fall eine ausreichende neue Mehrheit geben wird. Dann muß er das Parlament auflösen. Statt sofort einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs auszuwählen, kann er aber auch ein „exploratives Mandat“ geben: Eine „institutionelle“ Persönlichkeit, etwa der Präsident von Senat oder Deputiertenkammer, des Verfassungsgerichts oder des Obersten Rechnungshofes, wird zu Sondierungen über mögliche Allianzen herumgeschickt. Kommt dieser dann zu dem Ergebnis, daß ein Kandidat eine Mehrheit im Parlament finden kann, ernennt Scalfaro diesen und schickt ihn in die Kammern zur Vertrauensabstimmung; danach erfolgt die konkrete Regierungsbildung.
Zur Zeit gibt es drei Grundmeinungen in den Fraktionen: Berlusconis Forza Italia, die Nationale Allianz und Rifondazione Comunista wollen sofortige Neuwahlen, die nach der Parlamentsauflösung innerhalb von acht Wochen ausgeschrieben werden müßten. Die Linksdemokraten und einige ihrer Partner – die Grünen, La Rete, die Demokratische Allianz und die Italienische Volkspartei – wollen Neuwahlen im Frühjahr, weil dann Berlusconi durch seine Prozesse geschwächt sein wird. Die kleineren Parteien der Rechten, CDU, Liberale, Vereinigte Sozialisten sowie die Lega Nord, die derzeit Dini unterstützt, wollen möglichst gar keine Neuwahlen – sie müssen sich nach diversen Spaltungen erst wieder ordnen.
Staatspräsident Scalfaro selbst hat wohl im wesentlichen ein einziges großes Ziel – eine Neuauflage der Regierung Berlusconi zu verhindern. Daher wird er wohl so stark wie möglich auf Zeit spielen, um Neuwahlen erst frühestens Ende Januar durchzuführen – am 17. Januar beginnt der erste Prozeß wegen Korruption gegen Silvio Berlusconi.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen