Sat.1-Chef Bolten geht: Sender ohne Seele
Mit der Kündigung von Geschäftsführer Guido Bolten hat der Fernsehsender Sat.1 endgültig seine Seele verloren. Moment mal, welche Seele?
Es kann nicht gut um einen Sender stehen, wenn man kaum noch über sein Programm, sondern nur noch über die Zahlen spricht: 10,8 Prozent Durchschnittsmarktanteil hatte Sat.1 2009 - genauso viel wie im Jahr zuvor. Doch das schafft der Sender nur dank der Sportrechte an Champions und Europa League, die rund 75 Millionen Euro pro Jahr kosten - zu viel für einen TV-Konzern, der mit rund 3,4 Milliarden Euro in der Kreide steht. Auch große Namen nützen Sat.1 wenig: Johannes B. Kerner, mit großer Fanfare vom ZDF abgeworben, lag mit der letzten Sendung im alten Jahr mit gerade einmal 6,3 Prozent weiter im Quotentief. Am Ende steht nun eine 1 - gerade einmal ein Jahr hielt es der neue Sat.1-Geschäftsführer Guido Bolten aus.
In zwei Wochen ist er weg. Ein Konzept für den immer noch wichtigsten, weil umsatzstärksten Sender der ProSiebenSat.1 Media AG (Sat.1, ProSieben, Kabel1, N24, 9live) scheint nun niemand mehr zu haben. Andreas Bartl, Chef aller Free-TV-Kanäle der Gruppe, flüchtet sich in Floskeln: "Sat.1 braucht mehr starke Programmmarken, Sat.1 muss attraktiver werden, Sat.1 hat ein unheimliches Potenzial, das wir auf die Straße bringen werden", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Man habe "viele Ideen, und einige sollen noch dieses Jahr realisiert werden".
Nur zur Erinnerung: Sat.1 war einmal der Sender, der den Polit-Talk salonfähig machte ("Talk im Turm"), den Boom der TV-Comedy mit anschob (Engelke und Pastewka) und dem deutschen Fernsehen Fluch und Segen des TV-Events bescherte ("Der Tunnel"). Heute ist Sat.1 nur noch eine mäßig attraktive Markenhülle. Als der Sender 2009 gegen den Willen der meisten MitarbeiterInnen gezwungen wurde, zu großen Teilen vom bisherigen Standort in Berlin zur Konzernzentrale nach München umzuziehen, sprachen viele davon, dass Sat.1 so endgültig seine Seele verlieren würde. Sie hatten recht.
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