Sanssouci: Vorschlag
■ Polka im Podewil
„Ich spürte keine starke Originalität oder künstlerische Reife in Klucevseks Arbeit. Trotzdem spürte ich während des Konzerts Integrität, Neugier, Seriosität, echtes Hören und echtes Suchen, was alles gesunde und relativ ungewöhnliche Qualitäten sind“, schrieb 1976 Tom Johnson, der in den Siebzigern in der new music-Szene New Yorks allanwesende Village Voice-Kritiker.
Seitdem ist einige Zeit vergangen, und der amerikanische Akkordeonist slowenischer Abstammung, Klucevsek, ist gesetzter geworden; seine Musik in Noten gesetzter, wie Matthias Osterwold, der Veranstalter dreier Konzerte zu Beginn dieser Woche im Podevil, süffisant-assoziativ fortspinnt. Was da in Noten gesetzt wurde, ist nichts anderes als Klucevseks persönliches back to the roots-Programm: schließlich liegt Slowenien nicht weit von Böhmen, und dort wurde im letzten Jahrhundert die Polka kreiiert, die von Dvořák über Smetana bis hin zu Schostakowitsch schon so manchen Komponisten zu Bearbeitungen anregte. Klucevsek ist als Interpret gleich gründlich vorgegangen und gab Polka-Bearbeitungen in Auftrag. So beschäftigte sich ein Teil der New Yorker Komponistenszene zeitweise mit böhmischen Halbschritten (denn nichts anderes bedeutet das tschechische Wort Polka).
Dabei heraus kam nicht nur ein Repertoire von etwa 40 Stücken, sondern ein mehr als abendfüllendes Konzertprogramm. Und selbiges war nun erstmalig und exklusiv in Berlin zu hören, wobei Klucevsek John King an der elektrischen Gitarre, David Hofstra an Baß und Tuba und der Perkussionist Bill Ruyle assistierten. Ain't Nothing But A Polka Band nennt sie sich folgerichtig und besteht vorrangig aus New Yorker Musikern der Downtown-Szene. Die sind mittlerweile gesetzter geworden, haben alle ein bißchen Komposition studiert und können mithin Noten lesen. Sind aber auch professioneller geworden, geübt wird erst on tour. So lesen sie im Podewil einen Abend lang Polka-Noten, und das polkert, wenn auch zaghaft, vor sich hin, und man probiert so ziemlich alles aus, was man mit einer Polka tun kann.
Da werden Tonhöhen statistisch hin- und hergeschoben, bitonal darf's mal sein, bei Fred-Frith-Bearbeitung gewohnt lustig, John Kind darf dire straits-Gitarrenklänge mit einbringen und Bill Ruyle schon mal ostinate Achtel auf seiner Marimba spielen. Daß aber nach spätestens einer halben Stunde ein Zweivierteltakt mit punktiertem dritten Achtel tödlich nervt, weiß eigentlich jede Tanzband – und schiebt einen Walzer zwischen; oder einen Tango; leider aber wurden die weder in Slowenien noch in Böhmen erfunden. So hatte Tom Johnson wieder mal recht: Die Originalität ist keine starke, sondern eine in Auftrag gegebene, und die Reife ist weniger künstlerischer denn professioneller Natur. Fred Freytag
Noch heute abend im Podewil, Klosterstraße, Mitte, 20.30 Uhr
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